Verliebt Verlobt Vergeltung - Roman
ausreden kann?«
Ich strecke den Arm über den Kopf, stretche ein bisschen und lasse den Blick durch meine Küche schweifen. Meine menschenleere Küche. »Soll ich Burger mitbringen?«
»Es ist neun Uhr morgens.«
»Oh.«
Also springe ich ins Auto und fahre rüber zu Ronnies Junggesellenbude.
Mein Bruder nennt sie eine »unprätentiöse« Wohnung für »unprätentiöse« Ansprüche. Besonders schick ist es wirklich nicht. Einfach nur eine kleine Wohnung mit Balkon und Zugang zum Garten und Gemeinschaftspool.
Ich klopfe, und er ruft: »Maddy-go-laddy!«
Ich gehe rein und sehe, dass mein Bruder sich schon wieder ein paar neue Pflanzen zugelegt hat. Mr Grüner Daumen erwirbt mit Vorliebe Orchideen aus Brasilien und Afrika - Grünzeugs, das besonderer Pflege bedarf und nur schwer am Leben zu halten ist. Erinnert mich ein bisschen an seine jugendlichen Problemfälle, aber mein Bruder mag solche Herausforderungen.
»Das ist ja ein richtiger Dschungel hier drinnen«, sage ich und bahne mir meinen Weg zwischen zwei großen Farnen hindurch.
»Fantastisch, nicht wahr? So langsam habe ich den Dreh richtig raus«, sagt Ronnie.
Auf dem Boden liegen Bücher. Ich klettere über einen Stapel Ratgeber zur Lebenshilfe. Ronnie hat keinen Fernseher. Stattdessen hat er ein Sofa mit Ausblick und Unmengen an Büchern. Diese Ecke seines Wohnzimmers nennt er gern seine »Bibliothek«.
»Komm, gehen wir in die Bibliothek«, sagt er zu mir und
deutet auf den alten Ledersessel, in dem ich am liebsten sitze. »Setz dich, Maddy. Du siehst echt fertig aus.«
Mein Bruder trägt seine übliche Wochenendkleidung - ein Longhorns-Shirt und Jeans. Schräg auf dem Kopf hat er eine Baseballkappe. Er sieht aus wie ein weißer Rapper.
Ich lasse mich in den Sessel plumpsen, trete auf den hölzernen Hebel, mit dem man die Rückenlehne verstellen kann, und lege die Füße hoch. Als ich mich zurücklehne, hängt mir ein Farnwedel ins Gesicht. Ich schiebe die Blätter unsanft beiseite.
»Hey, immer langsam«, ermahnt mich Ronnie und geht zu dem kleinen Tisch hinüber, auf dem immer allerlei Drogenzubehör liegt. Das ist sein »Tisch der Versuchung«. Eine Wasserpfeife zum Haschischrauchen hat er da, auch eine Crackpfeife, daneben liegen ein Spiegel und eine Rasierklinge, um Kokslinien zu ziehen, und noch ein paar Sachen, mit denen ich eigentlich gar nichts anfangen kann.
Die Wasserpfeife hat mein Bruder in eine Kaffeepresse umfunktioniert.
Er hebt sie hoch und fragt: »Kaffee?«
»Klar.«
Ich schaue zu, wie er die Bong vorsichtig umdreht und mir eine Tasse pechschwarzen Kaffee eingießt.
Vorsichtig nehme ich einen Schluck. »Köstlich«, sage ich.
»Liegt an den Kaffeebohnen«, sagt Ronnie. »Ich bekomme sie direkt von einem Typen aus Kolumbien.«
»Cool.«
Mein Bruder lächelt kokett und zündet sich eine Zigarette an. Er setzt sich auf den Rand des Sofas, schiebt die Balkontür auf und bläst den Rauch hinaus.
»Warum hebst du den Kram eigentlich auf?«, frage ich ihn und zeige auf seinen Tisch der Versuchung.
Eine ganze Weile schaut er schweigend zum Fenster hinaus.
Nimmt einen Schluck Kaffee, zieht an seiner Zigarette und bläst den Rauch tief aus.
»Weil es mich daran erinnert, was ich durchgemacht habe«, sagt er dann. »So wie Jesus, als er vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste gefastet hat, und dann kam der Teufel und wollte ihn versuchen. Er befahl ihm, die Steine in Brot zu verwandeln, und Jesus war am Verhungern, aber er sagte dem Teufel, er solle sich zur Hölle scheren. Jeden Tag, wenn ich mir diese Sachen ansehe, Maddy, dieses Teufelswerk der Zerstörung, sage ich ihnen, sie sollen sich zur Hölle scheren«, meint er. »Und es funktioniert.«
»Ich dachte eigentlich, bei den Anonymen Alkoholikern hätten sie euch beigebracht, um alle Versuchungen einen großen Bogen zu machen. Aus den Augen, aus dem Sinn sozusagen.«
»Mir ist es lieber, meinen Dämonen ins Gesicht zu sehen«, sagt Ronnie. Er drückt seine Zigarette im Aschenbecher aus und hält die Kippe hoch. »Das hier ist die schlimmste Versuchung von allen, aber ich schaffe es einfach nicht, die bösen Jungs rauszuschmeißen.« Er schaut mich an, wie ich da in meinem Sessel liege. »Du weißt, welcher Tag heute ist, oder?«, fragt er mich. Auf einmal klingt seine Stimme ganz weich. Fast kindlich.
Mein Bruder und ich reden nicht über unsere Eltern. Es ist ein Thema, das bei uns einfach tabu ist. Wir haben alle Fotos von ihnen in Kartons verstaut und
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