Er will das Baby nicht. Er will Freiraum, Freiheit, frei sein von väterlicher Verantwortung. Und weil er es nicht besser sagen kann, sagt er es eben so. Seinen Horizont erweitern. Klar, jetzt verstehe ich. Er will in der Welt herumreisen, Golf spielen, auf die Jagd gehen, Samstagabend mit den Jungs weggehen. Und nicht mit einem schreienden Baby zu Hause sitzen. Plus einer Frau, die ihn an der kurzen Leine hält, einer schweren Kette an jedem Bein.
Schon verstanden, Carlton, denke ich.
Ich bleibe vor meinem Laptop sitzen und warte. Fünf Minuten später kommt Carltons Antwort.
Unsere Situation neu kalkulieren? Kalkulieren!
Hmm. Ich habe irgendwo mal etwas darüber gelesen, über dieses Phänomen. In einem dieser Männer-sind-vom-Mars-Bücher. Manchmal wollen Männer sich in ihre Höhle zurückziehen, und dann dürfen die Frauen ihnen nicht nachstellen. Wir müssen sie in ihre Höhle ziehen lassen, und irgendwann kommen sie schon wieder raus, und dann lieben sie uns nur noch mehr und wollen noch öfter mit uns zusammen sein als vor ihrem Rückzug in die Höhle. So weit die Theorie. Ich setze es gleich in die Praxis um:
Diesmal kommt die Antwort umgehend.
Auf einmal ist mir eiskalt, und ich zittere. Ich starre auf den Bildschirm und lasse das Gelesene sacken.
Macht Carlton etwa an dem Tag mit mir Schluss, da ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin?
Ich streife den Julia-Ring ab und lese die Gravur. Für immer, meiner Julia . Und jetzt will für immer auf einmal dauerhaft mehr Zeit und Raum?
Wie passt das denn zusammen?
Ohne lange zu überlegen, logge ich mich in Carltons E-Mail-Account ein. Dann tippe ich »
[email protected]«.
Passwort. Hmm. Passwort?! Langsam bin ich richtig panisch. Hat er eine Andere? Okay, ich sollte hier nicht schnüffeln, aber ich will Antworten.
Ich versuche es mit ein paar Passwörtern, bekomme aber immer sofort eine Fehlermeldung: Das eingegebene Passwort ist leider nicht korrekt. Bitte versuchen Sie es erneut.
Verdammt!
Ich gebe »Organics« ein.
Nichts.
»Organics 4 Kids«
Wieder nichts.
Jetzt versuche ich es mit meinem Namen.
Nichts. Natürlich nicht.
Jetzt denk doch mal nach!
Und da fällt mir das Segelboot ein, von dem Carlton seit Ewigkeiten träumt. Ein Beneteau First Class 7,5.
»Wie willst du es denn nennen?«, hatte ich ihn eines Sonntags gefragt, als ich ihm über die Schulter schaute, während er mal wieder seinem liebsten Zeitvertreib nachging - im Internet nach Segelyachten surfen.
»Hasardeur«, erwiderte er. »Ich wollte schon immer ein Segelboot, das Hasardeur heißt.«
Gespannt halte ich den Atem an, während ich »Hasardeur« eingebe.
Und siehe da, es tut sich was. Ich bin drin! Wow, ich sollte bei der CIA anfangen! Da könnte ich meine Talente endlich mal so richtig einbringen.
Eilig sehe ich Carltons Mails durch. Mein Gesicht glüht. Natürlich weiß ich, dass es falsch ist, was ich hier tue. Ich habe nie an Carlton gezweifelt, ihm nicht ein einziges Mal misstraut. Mir ist zwar nicht entgangen, dass er gern anderen Frauen hinterherschaut, aber bitte - welcher Mann macht das denn nicht? Trotzdem. Jetzt ist es anders. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass etwas nicht stimmt.
Ich entdecke eine Mail von seinem Freund David.
Sehr sinnig betitelt als »Lass krachen, Las Vegas«.
Vor ein paar Monaten war Carlton übers Wochenende in Las Vegas zu Davids Junggesellenabschied. Er hatte mir erzählt, dass sie sich ein paar Stripperinnen auf die Suite hätten kommen lassen, die eine echt sexy Show - inklusive Spielzeug - hingelegt hätten. Naja, dachte ich mir damals, sind halt Jungs.
Doch jetzt zittern mir die Hände, als ich die »Lass krachen, Las Vegas«-Mail öffne und den Text überfliege.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich weiß schon, was jetzt kommt, aber ich will es noch nicht glauben.
David schreibt: Carlton, wer war denn diese heiße Nummer, die du mit auf dein Zimmer genommen hast? Dafür hast du Aufschlag gezahlt, oder? Du Schweinepriester, du!
Mir bleibt das Herz stehen. Maddy Piatro. Tot vor dem Computer aufgefunden - beim Lesen der E-Mails ihres Verlobten Herzschlag erlitten.
Ich suche nach weiteren ominösen Mails in Carltons Posteingang.
Da, noch eine von David.
Wie läuft’s denn an der Heimatfront mit du weißt schon wem? , will er wissen.
Carltons Antwort: Der Bomber hat sein Ziel im Visier.
Der Bomber hat sein Ziel im Visier! Jetzt aber. Anscheinend ist Carlton die Enola Gay, und ich bin