Verliebt verlobt verhaftet - Roman
einem Menschen gesehen hatte.
In diesem Moment wusste sie, dass sie Peggy nie im Leben auf diese Bühne bekommen würde.
Sie holte zittrig Luft und wandte sich an den Ansager. »Ich bin bereit.«
Der Mann sah zu Peggy hinüber, dann wieder zu Savannah und nickte mitfühlend. »Okay, sieht ganz so aus, als bekämen wir gleich ein Solo statt eines Duetts zu hören«, verkündete er, ehe er vom Mikrofon wegtrat und sich an den Bühnenrand zurückzog, während die Musik zu spielen begann.
Savannah senkte den Kopf und schloss die Augen. Sie war gekommen. Ihre große Chance, ein Star zu werden. Und nur weil Peggy es nicht schaffte, bedeutete das noch lange nicht, dass auch sie sich von ihrem Traum verabschieden musste.
Sie hob den Kopf.
» Once upon a time «, begann sie.
Und dann legte sie los, wie sie es geübt hatten, nur dass Peggy nicht das Backup sang und den Mikroständer packte und herumwirbelte wie die Rockstars, die sie so gern geworden wären. Vier Minuten und neun Sekunden später war sie fertig, stand da, mit ausgestreckten Armen, atemlos und einem Puls, der etwa viermal so schnell war wie sonst. Sie wartete darauf, dass die Zuschauer von ihren Stühlen sprangen und zu pfeifen und zu johlen begannen, dass die Talentsucher sich einen Weg durch die tobende Menge bahnten, um möglichst als Erste bei ihr zu sein. Sie wartete darauf, dass der Ruhm auf sie herabregnete wie ein leiser Sommerschauer.
Was sie bekam, war ein oberflächlicher Applaus von einem eher gelangweilten Publikum und ein freundliches Schulterklopfen vom Ansager, als er sie von der Bühne schob.
Was man, wie Savannah sich fast zwei Jahrzehnte später sagte, nicht gerade als glückliches Ende eines Kindheitstraums bezeichnen konnte.
Sie saß im hellen Kegel der Sonne, die zwischen den Vorhängen ihres Motelzimmers hereindrang, nippte an einem Becher Kaffee und fragte sich, wie sie von ihrem Traum vom Starruhm zu einem Job mit betrieblicher Rentenvorsorge und Zahnzusatzversicherung hatte kommen können.
»Aber das war mein altes Ich«, erklärte sie, denn nun war sie in Naples und würde ihr neues Leben damit beginnen, dass sie ihren Traumjob fand.
Savannah nippte erneut an ihrem Kaffee, rieb sich die Augen und starrte auf die Zeitschrift, die sie auf dem Tisch ihres kleinen, aber erschwinglichen Motelzimmers aufgeschlagen hatte. Vor ihr lag eine Sonderbeilage mit dem Titel »Idiotensichere Tipps für ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch«. Zwar hatte sie den Artikel an diesem Morgen bereits dreimal gelesen, fand jedoch, ein viertes Mal könne nicht schaden, da es ihr an diesem Tag bereits gelungen war, zwei Vorstellungsgespräche zu vereinbaren. Was ein echtes Wunder war, da sie bis kurz vor zehn geschlafen hatte, nachdem sie sich bis zum Morgengrauen grün und blau über die anma ßende Anweisung geärgert hatte, ihre Musik leiser zu machen, wo diese Studenten ihren Rekorder vier Stunden lang auf volle Lautstärke aufgedreht hatten, so dass ihr beinahe die Ohren abgefallen waren. Sie hatte ihre eigene Musik nur so laut gehört, um den Lärm im Innenhof zu übertönen.
Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee und versuchte, sich auf den Artikel zu konzentrieren, gab es jedoch bald darauf auf und beschloss, unter die Dusche zu steigen. Sie war zu müde, um den Worten Aufmerksamkeit zu schenken, und zu nervös, um noch länger ruhig sitzen zu bleiben. Ihr letztes Vorstellungsgespräch lag sechs Jahre zurück, und wenn man den »Idiotensicheren Tipps für ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch« Glauben schenken durfte, lief es auf dem Bewerbermarkt mittlerweile vollkommen anders als früher. Vorbei waren die Tage, als der Kandidat seine Stärken und Schwächen aufzählen musste und Dinge wie »Meine größte Schwäche ist, dass mir meine Arbeit so sehr am Herzen liegt. Wenn ich meine Arbeit nicht anständig erledigt habe, kann ich nachts nicht schlafen« von sich geben konnte. Was, wie jeder Personalchef wusste, vollkommener Blödsinn
war, aber immerhin nahmen sie wohlwollend zur Kenntnis, dass man - zumindest in der Vorstellungsgesprächssprache - gerade seine Bereitschaft signalisiert hatte, jede Art von Privatleben für den Job zu opfern.
Nein, heutzutage wurde man gebeten, die M&M-Originalfarben aufzuzählen oder seine Theorie darüber zum Besten zu geben, warum Schachtdeckel rund und nicht eckig waren. Offenbar sollten diese abgedrehten Fragen, die in keinerlei Zusammenhang mit der angestrebten Tätigkeit standen, beweisen,
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