Verliebt, verlobt - verrueckt
Blick er mich betrachtet, verfliegt mein Ãrger und ich bin glücklich, dass es jemanden gibt, in dessen Augen ich offenbar schön und begehrenswert bin. Und dass dieser Jemand mein Mann ist.
So ein Zusammenleben ist wie ein Tanz. Am Anfang eher ein Balztanz, im Laufe der Zeit oft auch ein Affentanz. Beiden Partnern wird ein Höchstmaà an Geduld abverlangt, denn natürlich zeigt jeder Mensch Verhaltensweisen, die den anderen stören oder befremden. Ich zum Beispiel reiÃe ständig Schränke, Schubladen und Türen auf und vergesse, sie wieder zu schlieÃen. Oft beginne ich, etwas zu tun, werde abgelenkt, breche ab und vergesse schlieÃlich, was ich eigentlich tun wollte. Ich verliere ständig Sachen und beschuldige andere, sie verschlampt oder gestohlen zu haben. Ich bin oft vorschnell und impulsiv, reagiere heftig und dadurch ungerecht. Diese Liste lieÃe sich beliebig verlängern, und die meines Mannes ist zumindest genauso lang.
Er lässt zum Beispiel immer seine getragenen Socken zu Boden fallen und legt seine nassen Handtücher aufs Bett. Und obwohl die Müllentsorgung sein Job ist, lässt er den Zeitungsstapel immer höher werden, bis ich ihn schlieÃlich zur Papiertonne schleppe. Wenn im Haushalt etwas kaputtgeht, versucht er immer, die Schuld auf mich zu schieben. Und er warnt mich ständig davor, irgendwas zu tun, das so schwachsinnig ist, dass ich nicht mal auf den Gedanken käme. Dass mein Mann mir solche Dinge zutraut, zeigt meiner Meinung nach, dass er mich für bescheuert hält. Seiner Meinung nach beweist es nur seine liebevolle Fürsorge.
Das klingt nach lächerlichen Kleinigkeiten, aber gerade die können zum Sprengstoff werden. Deshalb muss man beim Tanzen gut auf seine Schritte achten. Dass man nicht zu dominant wird, zu weit ins Territorium des anderen eindringt, oder ihm sogar auf die FüÃe tritt.
Gefährlicher als jeder Streit ist aber auf Dauer die Routine. Irgendwann sind die Tage perfekt durchorganisiert, man richtet sich ein in seinen Gewohnheiten, die altbewährten Abläufe werden ständig wiederholt. Das ist ungemein beruhigend, aber man muss höllisch aufpassen, dass die Geborgenheit sich nicht in etwas verwandelt, das einen erstickt, und dass aus nützlicher Routine nicht tödliche Langeweile wird. Deshalb versuche ich, das Alltägliche ganz bewusst wahrzunehmen und als etwas Besonderes zu betrachten.
Ich liebe das Zusammenleben mit meinem Mann (trotz seiner Fehler), ich mag gerade den Alltag, die Rituale, die kleinen Reibereien, unsere Gewohnheiten und Ticks. Wir sind als Tänzer gut eingespielt, bewegen uns, ohne groà darüber nachzudenken, intuitiv und weitgehend mühelos. Wenn der andere für ein paar Tage weg ist, kommen wir bestens alleine zurecht, freuen uns aber jedes Mal, wenn wir wieder zusammen sind. Wir halten Nähe gut aus.
Wir können uns aber beide vorstellen, dass es Paare gibt, die sich nicht weniger lieben als wir, genau diese Alltagsroutine aber unerträglich finden, und für die es besser wäre, getrennt zu wohnen. Manche Dauerkrise lieÃe sich dadurch vielleicht entschärfen, und die Partner wären glücklicher als in der Zwangssymbiose unter einem Dach. Sollte also der Tauglichkeitstest à la Zimmer frei ergeben, dass man besser zwei Staubsauger behält, dann: Nur Mut!
Nirgendwo steht geschrieben, dass Eheleute unter einem Dach leben müssen. Manchmal reicht es, ein bisschen älter und reifer zu werden, und schon werden Dinge möglich, die man sich kurz zuvor noch nicht hatte vorstellen können. Und wenn nicht, dann eben nicht. Die Ehe mag für sich genommen konventionell seinâ die Art, wie ein Paar sie führt, kann sehr individuell sein.
Erst, wenn Kinder ins Spiel kommen, sieht die Sache wieder anders aus â aber das ist ohnehin ein Kapitel für sich (siehe S . 68 ).
Bild 11
»In der Ehe muss man einen unaufhörlichen Kampf gegen ein Ungeheuer führen, das alles verschlingt: die Gewohnheit.«
Honoré de Balzac
» Eheleute, die sich lieben, sagen sich tausend Dinge, oh ne zu sp rechen.«
Chinesisches Sprichwort
Die Gedanken sind frei
Ich war immer schon ein leidenschaftlicher Erzähler und habe die Menschen gern mit Geschichten über andere und mich unterhalten. Geheimnisse betrachtete ich lange nur als Mittel zur Spannungssteigerung. Sie mussten dramaturgisch geschickt enthüllt werdenâ sie
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