Verliebt verlobt Versace Roman
sie tatsächlich zu sehen, dort, in echt. Wow.«
»Ja«, stimmte Jenny zu. »Ich erinnere mich noch an mein erstes Mal. Sobald ich in die Innenstadt gezogen war, kam ich hierher. Als Kinder sind wir nie hier runtergekommen, meine Mama kann sie nicht ausstehen. Aber sie ist hier, um sich um jeden Einzelnen zu kümmern. New York setzt sich aus Millionen unterschiedlichster Menschen zusammen, Angie, und sie kommen alle hierher, weil sie nach irgendwas auf der Suche sind, wie Sie.«
»Nicht doch, das ist zu viel der Ehre. Ich habe nach gar nichts gesucht«, sagte ich und richtete meinen Blick hinüber auf Ellis Island. »Ich bin weggerannt.«
»Nein, Sie sind zu streng mit sich«, sagte Jenny und wandte sich mir zu. »Ja, mag sein, dass nicht jeder einen Ozean zwischen sich und seinen Ex legt, aber Sie haben viel durchgemacht. Und das ist jetzt kein Psychogewäsch, das ist echte Lebenserfahrung. Als mich mein Ex verließ, bin ich völlig zusammengebrochen, und zwar ganz im wörtlichen Sinn. Und ich hatte eigentlich keinen Grund zum Jammern, denn es war alles mein Fehler, und ich hatte
ganz tolle Freunde, die sich um mich gekümmert haben. Wenn Sie hingegen davon ausgehen mussten, dass Ihnen diese Unterstützung versagt bleibt, dann war es wirklich das Beste, sich der Situation zu entziehen. Und New York ist dafür bestens geeignet. Es ist die Stadt der Neuanfänge. Menschen gehen nach L.A., um ›sich selbst zu finden‹, sie kommen nach New York, um jemand Neuer zu werden.«
»Da haben Sie wohl recht«, sagte ich und dachte an alles, was passiert war. War es nicht verrückt, dass ich seit der Chanel-Theke nicht mehr an Mark gedacht hatte? »Mir kommt das alles so seltsam und unwirklich vor. Ich meine immer, ich sollte, ich weiß auch nicht, mehr empfinden.«
»Dann stehen Sie immer noch unter Schock«, meinte Jenny und wandte sich wieder der Bucht zu. »Es gibt schlimmere Orte als Bloomingdale’s, um unter Schock zu stehen. Aber mal im Ernst, Sie haben ein großes persönliches Trauma erlitten, eine Trennung kommt einem Trauerfall am nächsten, wissen Sie.«
»Ich fühle mich auch fast so«, gab ich zu. Ich wollte nur an einem derart öffentlichen Ort nicht länger dabei verweilen. Schließlich war ich Engländerin, und wir sind keine öffentlichen Heulsusen. »In der einen Minute ist es, als wäre alles vorbei, dann denke ich überhaupt nicht mehr daran, doch nur um in der nächsten gar nicht fassen zu können, was passiert ist. Aber ich denke, im Moment ist es doch das Beste für mich, hier zu sein.«
Ehe Jenny mich aufbauen oder fertigmachen konnte, unterbrach uns ein lautes Klingeln. Mein Telefon. Ich zog es aus meiner Tasche, bereit, meine Mum daran zu erinnern, wie teuer Mobilgespräche waren, als ich sah, wer dran war.
Mark.
Ich schaute für den Bruchteil einer Sekunde auf das
blinkende Display und fragte mich, was er wohl nach unserem letzten Gespräch noch von mir wollen könnte. Hatte er seine Meinung geändert? Fühlte er sich schlecht? War Tims Hand so schwer verletzt, dass sie amputiert werden musste?
Klingeling. Geh dran. Geh dran.
Ohne zu überlegen warf ich mein Telefon mit so viel Kraft, wie ich aufbringen konnte, über das Geländer und ins Wasser. Und hatte dabei ein wirklich gutes Gefühl.
»Entschuldigung«, sagte ich und holte tief Luft. Hatte ich das wirklich gerade getan?
»Diese Stadt ist ein guter Ort, um mit Traumata umzugehen, meine Liebe, wir haben selbst jede Menge davon durchgemacht und sind dabei immer wieder ganz gut weggekommen.« Jenny holte eine Packung Taschentücher aus ihrer Handtasche und reichte sie mir als Vorsichtsmaßnahme, ohne auf mein Telefongeschoss einzugehen, das ich gerade abgefeuert hatte.
»Weiß Gott, ja«, stimmte ich ihr rasch zu und nahm die Taschentücher. »Wenn man bedenkt, was alle hier durchgemacht haben, wie sie überlebt haben, dann bekommt so eine Trennung einen ganz anderen Stellenwert.«
»Stimmt, aber das wollte ich damit nicht sagen, Schätzchen. Ich meinte, dass Sie an den richtigen Ort gekommen sind, um etwas durchzustehen, was hart und schwer ist und einen innerlich zerreißt. Was immer das ist, es ist für jeden etwas anderes. Für mich war die Offenbarung, dass fünf Monate nach 9/11 das Century 21 wiedereröffnet wurde. Da wusste ich, dass auch ich tapfer alles durchstehen würde, wenn sie ihre Türen öffnen und mir Designerschuhe mit siebzig Prozent Nachlass verkaufen konnten.« Sie ergriff meine Hand. »Jetzt muss ich zu meiner
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