Verliebt verlobt Versace Roman
Abendschicht.
Und Sie dürften völlig erledigt sein. Möchten Sie zurück ins Hotel?«
Ich warf einen letzten Blick auf die Statue. Mannomann. Ich war in New York.
Und ich war so unglaublich müde.
»Ja, bitte.«
Wir sammelten unsere sämtlichen Tüten zusammen und winkten wieder ein Taxi herbei. Hm, eine neue Freundin, eine neue Garderobe und eine neue Stadt. Verglichen mit Samstag war das kein schlechter Tag gewesen.
Sechs
Nach einem Nickerchen, einer Dusche und mehreren vergeblichen Versuchen, vom Hotelzimmer aus ins Ausland zu telefonieren, erledigte ich schließlich, was ich zu tun hatte.
»Annette Clark.«
»Mum, ich bin es.«
»Oh, Angela, Gott sei Dank. Ich habe schon den ganzen Tag versucht dich zu erreichen«, schnaufte sie mit überdramatischer Betonung. Das würde rasch und einfach über die Bühne gehen.
»Weißt du, mein Telefon funktioniert hier nicht.« Wir greifen im Allgemeinen lieber auf Notlügen zurück, was für eine Mutter-Tochter-Beziehung auch viel gesünder ist, als die Wahrheit zu erzählen, und ich war noch nicht in der geistigen Verfassung, mich Fragen auszusetzen. »Ich wollte
dir nur mitteilen, dass es mir gut geht und ich eine Bleibe gefunden habe, und ich werde dich wieder anrufen, wenn ich mich entschlossen habe, was ich tun werde.«
»Eine Bleibe?«, wiederholte sie.
»Ja, bei einer Freundin«, sagte ich, um sie abzuwimmeln, ehe das Gespräch sich in eine Richtung entwickelte, die ich gar nicht einschlagen wollte. »Aber könntest du mir bitte einen Gefallen tun und meine Sachen aus dem Haus abholen? Er weiß -«
»Angela, jetzt mal langsam«, sagte Mum. Ich hatte sie vor Augen, den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt und mit den Händen ihre Wangen reibend, wie sie das immer tat, wenn sie durcheinander war. »Was meinst du mit ›eine Freundin‹? Du kennst doch niemanden in Amerika. Komm doch bitte einfach nach Hause. Dad hat dein Zimmer hergerichtet, und alle fühlen sich einfach nur schrecklich, weißt du, aber keiner macht dir einen Vorwurf wegen der Vorfälle auf der Hochzeit.«
»Mir macht keiner einen Vorwurf!«, erwiderte ich, und meine Stimme nahm dabei einen Ton an, der etwas lauter als nötig war. »Keiner macht mir einen Vorwurf … Genau, gut, ja, ich habe mich angefreundet. Nein, ich hätte nicht gedacht, dass man an einem Tag eine Freundschaft schließen kann, aber bis Samstag war mir auch nicht klar gewesen, dass Freunde, die ich mein ganzes Leben als solche betrachtet habe, mich so gut anlügen konnten, also ist es vielleicht an der Zeit, es mal mit neuen Leuten zu versuchen.«
»Angela, lass gut sein, das meinte ich nicht«, seufzte sie. »Ich möchte einfach nur wissen, ob es dir gut geht. Und pfeif auf die anderen.«
»Ja, mir geht es gut«, sagte ich mit Blick auf meine neue Frisur und das schöne, wenngleich schon etwas geschmolzene
Make-up, die ich im Spiegel sah.Verdammt noch mal, ich sah wirklich richtig gut aus. »Wirklich. Weißt du, ich wohne in einem - bei meiner Freundin Jenny, und sie ist wirklich nett. Ich werde eine Weile hierbleiben, denke ich, aber ich werde mich bei dir melden, wenn ich irgendwas brauche, und du kannst mich in den nächsten paar Tagen unter dieser Nummer erreichen, du brauchst nur 1471 vorzuwählen. Lass dich umarmen.«
»Ich umarme dich auch, meine Liebe«, sagte sie und klang etwas besänftigt. »Dad und ich werden deine Sachen aus deinem Haus holen. Keine Sorge, komm nur bald wieder nach Hause.«
Fünf Minuten nachdem meine Mutter aufgelegt hatte, merkte ich, dass ich den Hörer noch immer so fest umklammert hielt, dass meine Knöchel weiß geworden waren. Allein die Erwähnung von Mark, der Hochzeit und allem anderen zu Hause hatte mich in eine verdrießliche Stimmung gebracht. Kein gutes Vorzeichen für einen Abend, den ich mit mir allein verbringen musste. Ich trat ans Fenster auf der Suche nach einem Ort, wo ich im Verborgenen Leute beobachten und die Gespräche anderer Leute belauschen konnte. Ein großes, vertrautes Leuchtfeuer der Normalität strahlte mir entgegen.
Starbucks.
Perfekt. Und daneben befand sich sogar eine HSBC-Bank.
Gelobt seien die multinationalen Unternehmen.
Ich leerte zwei der großen braunen Tüten auf dem Bett aus und entdeckte dabei die winzigen Shorts und einige farbenfrohe T-Shirts. Nachdem ich mich aus meinen verschwitzten Jeans und dem alten, leicht ergrauten T-Shirt geschält
hatte, wechselte ich die Kleider und schlüpfte in meine neuen Havaianas.
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