Verliere nicht dein Gesicht
Sie streckte die Hand aus und berührte Tallys Haare, zwei Wochen Campingleben verfilzt und schmutzig waren. "Und wo wir schon von Duschen reden, du siehst einfach unmöglich aus."
Tally blinzelte. Heiße Tränen traten ihr in die Augen. Shay hatte sich soo sehr gewünscht, ihr eigenes Gesicht zu behalten, auf ihre eigene Weise außerhalb der Stadt zu leben. Aber dieser Wunsch war getilgt worden.
"Ich wollte euch nicht ... verraten", sagte sie leise.
Shay schaute sich kurz um, dann sah sie wieder Tally an und lächelte. "Er weiß nicht, dass du für Dr. C gearbeitet hast, oder? Keine Sorge, Tally", flüsterte sie und legte sich einen eleganten Finger an die Lippen. "Dein hässliches kleines Geheimnis ist bei mir sicher."
Tally schluckte und fragte sich, ob Shay die ganze Geschichte kannte. Vielleicht hatte Dr. Cable allen erzählt, was Tally angerichtet hatte.
Neben Dr. Cable war ein Brummen zu hören. Auf der Arbeitstafel, die sie bei sich gehabt hatte, kündigte ein rotes Licht einen Anruf an.Tally hob die Tafel hoch und hielt sie Shay hin. "Sprich du mit ihnen."
Shay zwinkerte ihr zu, drückte auf einen Knopf und sagte: "Ich bin’s, Shay. Nein, tut mir leid, Dr. Cable hat zu tun. Was sie tut? Ach, das ist kompliziert..." Sie brachte das Gerät zum Verstummen. "Solltest du hier nicht Leute retten oder so, Tally? Darum geht’s doch bei diesem kleinen Streich, oder?"
"Bleibst du hier?"
"Klar. Sieht doch prickelnd aus. Bloß, weil ich hübsch bin, brauch ich ja nicht total langweilig zu sein."
Tally drängte sich an ihr vorbei in das Zimmer. Zwei Türen waren geöffnet worden. Davids Mutter und noch ein Smokey waren frei. Die beiden trugen orangefarbene Overalls und sahen verschlafen und überrascht aus. David arbeitete an einer anderen Tür, er hatte den Powerjack in einen schmalen Schlitz auf dem Boden gepresst.
Tally sah Croys Gesicht mit großen Augen aus einem der winzigen Fenster schauen und schob ihren Powerjack unter die Tür. Der kreischte los und auch das dicke Metall schrie, als es nach oben verbogen wurde. "David, sie wissen, dass etwas los ist", rief sie.
"Okay. Wir sind hier fast fertig."
Tallys Jack hatte eine kleine Lücke ins Metall gerissen, die aber noch nicht groß genug war. Tally setzte das Gerät noch einmal an und wieder stöhnte das Metall. Ihre viele Arbeit an der Eisenbahnlinie machte sich jetzt bezahlt, der Jack riss ein Loch von der Größe einer Hundetür.
Croys Arme erschienen, dann sein Kopf, sein Overall wurde von Metallzacken zerfetzt, als er sich durch das Loch schob. Maddy packte seine Hände und zog ihn heraus. "Das sind jetzt alle", sagte sie. "Gehen wir."
"Was ist mit Dad?", rief David.
"Dem können wir nicht helfen." Maddy lief hinaus auf den Gang.
Tally und David wechselten einen ängstlichen Blick und folgten.
Maddy rannte auf den Fahrstuhl zu und zog Shay am Handgelenk hinter sich her. Shay drückte auf den Sprechknopf der Arbeitstatel und sagte: "Sekunde, ich glaube, sie kommt gerade zurück. Einen Moment, bitte." Sie kicherte und brachte das Gerat wieder zum Verstummen.
"Bringt Cable her", rief Maddy. "Die brauchen wir."
"Mom!" David rannte ihr nach.
Tally sah zuerst Croy an und dann die am Boden liegende Dr. Cable. Croy nickte und sie packten Dr. Cables Handgelenke und zogen die Frau im Laufschritt über den glatten Flur. Tallys Griffschuhe quietschten.
Als sie den Fahrstuhl erreicht hatten, packte Maddy Dr. Cable am Kragen und riss sie zum Augenleser hoch. Die Frau stöhnte leise. Vorsichtig öffnete Maddy eins ihrer Augen, der Fahrstuhl ließ ein pling hören und die Türen glitten auf.
Maddy zog Dr. Cables Interface-Ring ab, ließ die Frau auf den Boden sacken und zog Shay in den Fahrstuhl. Tally und die anderen Smokies folgten ihr, nur David blieb draußen stehen "Mom, wo ist Dad?"
"Wir können ihm nicht helfen." Maddy entriss Shay die Arbeitstafel und schlug sie gegen die Wand, dann zog sie den widerstrebenden David in den Fahrstuhl. Die Türen schlossen sich und der Fahrstuhl fragte: "Welcher Stock?"
"Dach", sagte Maddy, die den Interface-Ring noch in der Hand hielt. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Tallys Ohren beschwerten sich über den raschen Aufstieg.
"Wie sieht unser Fluchtplan aus?", fauchte Maddy. Ihre Augen hatten den glasigen Blick verloren, sie sah aus, als sei sie am Vorabend in der Erwartung schlafen gegangen, am Morgen gerettet zu werden.
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