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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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die sie gehabt hatte oder haben wollte, über Dinge, die sie anders hätte machen sollen. Aber hier in Smoke wurden ihre Gedanken in dem Moment ausgeschaltet, in dem sie ihren Kopf auf das Kopfkissen fallen ließ, das gar keins war, sondern nur ihr in einen Baumwollbeutel gestopfter neuer Pullover.
      Tally wusste noch immer nicht, wie lange sie hierbleiben würde. Sie war noch zu keinem Entschluss gekommen, ob sie den Anhänger aktivieren wollte, aber sie wusste, dass sie den Verstand verlieren würde, wenn sie die ganze Zeit darüber nachdächte. Deshalb beschloss sie das Ganze zu verdrängen. Vielleicht würde sie eines Tages mit der Erkenntnis aufwachen, dass sie es nicht ertragen könnte, ihr ganzes Leben als Ugly zu verbringen, egal, wen das verletzen und was es kosten würde ... aber für den Moment konnte Dr. Cable warten.
      Ihre Sorgen zu vergessen fiel ihr leicht in Smoke. Das Leben war hier viel intensiver als in der Stadt. Sie badete in einem so kalten Fluss, dass sie schreiend hineinspringen musste, und aß Mahlzeiten, die sie so heiß vom Feuer riss, dass sie sich damit ihre
      Zunge verbrannte, was ihr bei Stadtessen nie passiert war. Natürlich vermisste sie Shampooo, das nicht in den Augen brannte und moderne Toiletten (zu ihrem Entsetzen hatte sie gelernt, was >Latrine< bedeutet), und vor allem vermisste sie Medspray.
      Aber egal, wie viel Blasen sie an den Händen hatte. Tally fühlte sich stärker als je zuvor. Sie konnte jetzt den ganzen Tag an der Bahnlinie arbeiten und sich dann mit David und Shay ein Hubbrettrennen liefern, obwohl sie in ihrem Rucksack mehr Metallstücke hatte, als sie einen Monat zuvor hätte heben können. David hatte ihr beigebracht, mit Nadel und Faden ihre Kleidung zu flicken, Raubtiere von ihrer Beute zu unterscheiden und sogar Fische auszunehmen, was zum Glück längst nicht so schlimm war, wie sie im Biounterricht zu zerlegen.
      Auch der Anblick von Smoke lenkte sie von ihren Sorgen ab. Jeder neue Tag schien den Berg zu verändern und den Himmel und die Täler der Umgebung, ließ sie auf immer neue Weise großartig erscheinen. Die Natur wenigstens brauchte keine Operation, um schön zu sein. Sie war es einfach.
            ***
      Eines Morgens lenkte David auf dem Weg zur Bahnlinie sein Brett neben Tallys. Er schwebte eine Weite schweigend neben ihr her und legte sich mit der üblichen Eleganz in die Kurven. In den vergangenen zwei Wochen hatte sie erfahren, dass seine Jacke wirklich aus Leder war, aus echten toten Tieren, aber nach und nach hatte sie sich an diese Vorstellung gewöhnt. Die Smokies jagten, aber sie waren wie die Förster, sie töteten nur die Arten, die in diesem Teil der Welt nichts zu suchen hatten oder die aufgrund der von den Rusties vorgenommenen Manipulationen außer Kontrolle geraten waren. Mit ihren willkürlich zusammengefügten Stücken hätte die Jacke bei jedem anderen wohl albern ausgesehen. Aber auf irgendeine Weise passte sie zu David, so, als erlaube ihm die Tatsache, dass er hier in der Wildnis aufgewachsen war, mit den Tieren zu verschmelzen, die ihre Häute dafür gegeben hatten. Und es half irgendwie auch, dass er diese Jacke selbst hergestellt hatte. Plötzlich sagte er: "Ich hab ein Geschenk für dich."
      "Ein Geschenk? Wirklich?"
      Tally hatte inzwischen begriffen, dass kein Gegenstand in Smoke jemals seinen Wert einbüßte. Nichts wurde weggeworfen oder auch nur verschenkt, nur weil es alt oder beschädigt war. Alles wurde repariert, überholt und recycelt, und wer etwas nicht brauchen konnte, tauschte es mit einem anderen. Nur wenige Dinge wurden einfach so verschenkt.
      "Ja, wirklich." David kam dichter an sie heran und reichte ihr ein kleines Bündel.
      Sie wickelte es aus und folgte der vertrauten Strecke am Bach entlang, fast ohne hinzusehen. Das Geschenk bestand aus einem Paar Handschuhe, handgemacht aus hellbraunem Leder.
      Sie steckte das leuchtende Geschenkpapier aus der Stadt in die Tasche und zog dann die Handschuhe über ihre von Blasen übersäten Hände. "Danke. Die passen wie angegossen!"
      Er nickte. "Ich hab sie gemacht, als ich so ungefähr in deinem Alter war. Inzwischen sind sie ein bisschen zu klein für mich."
      Tally lächelte und hätte ihn schrecklich gern umarmt. Als sie vor einer scharfen Kurve die Arme ausstreckten, nahm sie für eine Sekunde seine Hand.
      Tally bewegte ihre Finger und merkte, dass die Handschuhe weich und geschmeidig waren, die Handflächen waren von den

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