Verliere nicht dein Gesicht
und funkelte rot im Feuerschein. Tally konzentrierte alle ihre Zweifel darauf, alle ihre Angst vor Entdeckung, ihre Furcht von Dr. Cables Drohungen. Sie umklammerte den Anhänger, drückte das feste Material, bis ihre Muskeln schmerzten, als versuche sie ihre Gedanken zu der fast unvorstellbaren Erkenntnis zu zwingen, dass sie ihr Leben lang eine Ugly bleiben würde. Aber auf irgendeine Weise eben doch nicht hässlich.
Sie öffnete die Faust und warf die Kette mitten ins Feuer.
Die landete auf einem knisternden Holzscheit, das Metallherz verfärbte sich für einen Moment schwarz, dann wurde es in der Hitze zuerst gelb und dann weiß. Endlich ließ es einen leisen Knall hören, als sei etwas darin Gefangenes explodiert, dann glitt es vom Holzscheit und verschwand in den Flammen.
Sie drehte sich zu David um und vor ihren Augen tanzten Schlieren, weil sie lange ins Feuer gestarrt hatte. Ihn brachte der Rauch zum Husten. "Meine Güte. Das war ja dramatisch!"
Tally kam sich plötzlich albern vor. "Ja, kann schon sein."
Er trat dichter an sie heran. "Das war dir wirklich ernst. Wer immer es dir gegeben hat ..."
"Spielt keine Rolle mehr."
"Und wenn er jetzt kommt?"
"Niemand kommt. Da bin ich mir sicher."
David lächelte, zog Tally an sich und schob sie vom Feuer weg. "Na, Tally Youngblood, du weißt jedenfalls, wie man sagt, was Sache ist. Weißt du, ich hätte dir auch geglaubt, wenn du mir einfach erzählt hättest..."
"Nein, ich musste es so machen, ich musste es verbrennen. Um ganz sicher zu sein."
Er küsste ihre Stirn und lachte. "Du bist wunderschön."
"Wenn du das sagst, dann glaube ich fast ...", flüsterte sie.
Plötzlich aber war Tally nur noch erschöpft, als seien ihre letzten Energie-
reserven mit dem Anhänger ins Feuer geflogen. Sie war müde von dem wilden Lauf hierher, von dem langen Abend bei Maddy und Az, von der harten Arbeit tagsüber. Und am nächsten Tag würde sie Shay wieder gegenübertreten und ihr sagen müssen, was sich zwischen ihr und David abgespielt hatte. Natürlich würde Shay in dem Moment Bescheid wissen, in dem sie sah, dass der Anhänger von Tallys Hals verschwunden war.
Aber immerhin würde sie die wirkliche Wahrheit nie erfahren. Der Anhänger war verkohlt und würde niemals wieder zu erkennen sein, sein wahrer Zweck war für immer verborgen. Tally ließ sich in Davids Arme sinken und schloss die Augen. Das Bild des glühenden Herzens hatte sich in ihre Netzhaut eingebrannt.
Sie war frei. Dr. Cable würde jetzt niemals herkommen und niemand würde sie je von David oder aus Smoke wegholen können oder Tallys Gehirn das antun, was die Operation den Pretties eben antat. Sie war keine Spionin mehr. Endlich gehörte sie hierher.
Tally ertappte sich dabei, dass sie weinte.
David führte sie schweigend zum Schlafhaus. In der Tür beugte er sich vor, um sie zu küssen, aber sie wich zurück und schüttelte den Kopf. Shay war dort drinnen. Tally würde am nächsten Tag mit ihr sprechen müssen. Das würde nicht leicht sein, aber Tally wusste, dass sie jetzt alles aushalten konnte.
David nickte, küsste seinen Finger und fuhr damit über eine der verbliebenen Schrammen auf ihrer Wange. "Bis morgen", flüsterte er.
"Wohin gehst du?"
"Spazieren. Ich muss nachdenken."
"Schläfst du denn nie?"
"Heute nicht." Er lächelte.
Tally küsste seine Hand und verschwand im Haus, streifte ihre Schuhe ab, kroch vollständig angezogen in ihren Schlafsack und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen, als sei das Gewicht der ganzen Welt von ihren Schultern genommen worden.
***
Am nächsten Morgen erwachte sie in einem Chaos, nachdem Geschrei und eilige Schritte und das Kreischen von Maschinen in ihren Traum eingedrungen waren. Der Himmel vor dem Fenster des Schlafhauses wimmelte nur so von Hubwagen. Die Specials waren da.
Teil 3
Ins Feuer
Schönheit ist der Medusenkopf, den Bewaffnete aufsuchen und vernichten. Erst recht wird er töten, wenn er tot ist, und wird den Blick auf die Vernichter richten.
Archibald MacLeish, "Beauty"
Invasion
Tally wandte sich vom Fenster ab und sah nur leere Betten. Sie war allein im Schlafhaus.
Sie schüttelte den Kopf, schlaftrunken und ungläubig. Der Boden bebte unter ihren bloßen Füßen und das Haus wackelte. Plötzlich zerbrach die Kunststoffscheibe eines Fensters und der bisher gedämpfte Lärm
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