Verlockend untot
konnte. »Ich glaube, ich hatte einfach nur… Glück.«
Mirceas Lippen zuckten. »Das wirst du mir noch lange unter die Nase reiben, wie?«
»Könnte durchaus sein«, erwiderte ich.
Er strich mir mit einer Hand durch mein armseliges Haar. »Ich habe nie an dir gezweifelt.«
»Mircea…«
»Das stimmt.«
»Warum dann das Getue im Tunnel? Und die ganze Woche über?«
Zunächst gab er keine Antwort, und ich dachte schon, dass er mir auch keine geben würde. Meistervampire waren nicht daran gewöhnt, ihr Verhalten rechtfertigen zu müssen, abgesehen vielleicht ihren eigenen Meistern gegenüber. Und derartige Verpflichtungen hatte es für Mircea nie gegeben.
»Wir haben über meine Eltern gesprochen«, sagte er nach einer Weile. »Vor einigen Tagen. Erinnerst du dich?«
Ich nickte.
»Habe ich dir jemals erzählt, was mit ihnen geschah?«
»Ich weiß, was mit deinem Vater passierte«, sagte ich. »Im Großen und Ganzen.«
Mirceas Geschichte über den Tod seines Vaters und sein eigenes Beinahe-Ende passte sich den jeweiligen Umständen an. Als ich ein Kind gewesen war, hatte er davon auf eine Weise erzählt, die fast komisch klang: verrückte Adlige, die versuchten, ihn lebendig zu begraben, obwohl er eine Woche zuvor – Überraschung – zum Vampir geworden war. Später hatte ich eine weniger amüsante Version gehört, darin enthalten eine nächtliche Flucht dicht vor einer wütenden, Fackeln tragenden Menge, die seinen Vater umbrachte und ihn, Mircea, blendete, bevor sie ihn in einem Grab zurückließ. In einem zugeschaufelten, wohlgemerkt.
Mircea war wieder herausgekrochen und noch halb blind entkommen. Ohne Nahrung hatte sich sein Vampirkörper nicht sofort selbst heilen können, und außerdem hatte er an einem schweren Schock gelitten und auf die Hilfe eines Meisters verzichten müssen, der ihm mit Rat und Tat zur Seite stand. Trotzdem war es ihm irgendwie gelungen zu überleben.
»Ich weiß, was ich wissen muss«, sagte ich, neigte den Kopf zurück und sah zu ihm hoch.
Seine Hand schloss sich etwas fester um meinen Arm. »Nein«, widersprach er sanft. »Das glaube ich nicht.«
Er zog die Decke um uns herum, sicher meinetwegen – ein Meister fror nicht so schnell. Und dann erzählte er mir die ganze Geschichte, die vermutlich nicht viele Leute zu hören bekamen.
»Im Jahr vierzehnhundertzweiundvierzig entschied der Papst, dass es Zeit wurde für einen neuen Kreuzzug gegen die Osmanen, die damals einen großen Teil des vorderen Orients erobert hatten und mit Vorstößen nach Europa begannen. Man war der Ansicht, dass ihnen jemand Einhalt gebieten musste, und die Wahl fiel auf den König von Polen, der von Ruhm träumte, aber mit kaum zwanzig keine Erfahrungen auf dem Schlachtfeld gesammelt hatte. Er verließ sich auf die Führung eines Glücksritters namens János Hunyadi.«
Ich musste nicht extra fragen, ob Hunyadi der böse Bube war.
Mircea sprach den Namen so aus, wie ein Katholik vom Satan sprechen würde. »Ich schätze, du hast nicht viel von ihm gehalten.«
Mirceas Hand strich mir über den Arm, und unter den Fingerkuppen bildete sich eine Gänsehaut. »Hunyadi verfügte durchaus über militärisches Geschick«, räumte er widerstrebend ein. »Aber sein Ehrgeiz war oft größer als seine Vernunft. Wie bei jener Gelegenheit, als er und Wladislaw, der polnische König, sich auf ihrem Weg nach Osten mit meinem Vater trafen. Napoleon hat einmal gesagt, dass Gott auf der Seite kämpft, die die größten Bataillone hat.
Er sagte es Jahrhunderte später, aber die Worte brachten die Meinung meines Vaters zum Ausdruck. Und deshalb konnte selbst all seine Diplomatie das Entsetzen nicht aus seinem Gesicht fernhalten, als er ihr ›Heer‹ sah.«
»War es so schlimm?«
»Es war gar kein Heer. Die Idioten hatten fünfzehntausend Mann mitgebracht. Wie mein Vater zu Hunyadi sagte: Oft brach der Sultan mit so vielen Begleitern zu einem Jagdausflug auf.«
»Ich nehme an, dieser Hunyadi hat nicht auf deinen Vater gehört.«
»Er teilte meinem Vater mit, ein christlicher Ritter sei hundertmal so viel wert wie der ›Pöbel‹ des Sultans!« Mircea klang bitter.
»Die Janitscharen, Murads Elitetruppen, zählten zu den am besten bewaffneten und am besten ausgebildeten Soldaten der Welt. Ihre Ausbildung begann, als sie noch Kinder waren – christliche Kinder, von den Türken als Dev irme genommen, eine Art Steuer in den von ihnen eroberten Gebieten.«
»Man sollte meinen, dass Sklaven nicht besonders
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