Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
Vom Netzwerk:
Halbgott zeigte mir, dass er sich schon wieder regte. Neues Fleisch bildete sich dort, wo eben noch alles verbrannt gewesen war, klaffende Wunden schlössen sich, und neue olivfarbene Haut floss wie Wasser über den Leib. Gleich würde das Herz wieder schlagen, und dann machte er die Augen auf und … Und ich wollte nicht in der Nähe sein, wenn das geschah.
    Ich sah wieder meine Mutter an. »Was soll ich tun?«
    Dreißig Sekunden später jagten wir erneut durch den U-Bahn-Tunnel, aber inzwischen sah alles etwas besser aus. Es gab stinkfeine Sitzbänke aus gepolstertem Leder, schicke Lampen an der Decke und eine glänzende Holzvertäfelung. Und die Passagiere erweckten den Eindruck, als wollten sie alle zur selben Fancy-Dress-Party wie die Leute im Taxi.
    Besser gesagt: So hätten sie ohne die Schreie gewirkt, die sie ausstießen, als plötzlich einige Personen aus dem Nichts vor ihnen erschienen. Oder vielleicht kreischten sie deshalb, weil eine dieser Personen fast ganz nackt und vollkommen tot war. Mircea löste die Hand von der Kehle des Wesens, das daraufhin wie ein Sack Kartoffeln zu Boden fiel.
    Ich starrte auf die blicklosen Augen des Mannes hinab, die das Licht der Gaslampen reflektierten. Es waren blaue Augen. Ich schluckte. »Was zum Teufel ist er?«
    »Ein Spartoi«, bestätigte meine Mutter. »Ares hat vor langer Zeit eine Drachenfrau geschwängert, und sie sind das Ergebnis.«
    »Deshalb können sie sich in einen Drachen verwandeln?«
    Meine Mutter nickte. »Ja, aber nicht hier. Der Tunnel ist zu klein; sie würden darin festsitzen. Und ohne die Möglichkeit; zum Drachen zu werden, liegt ein großer Teil ihrer Macht brach.«
    »Deshalb bist du hierhergekommen, nicht wahr? Du hast darüber Bescheid gewusst.«
    »Ja.«
    »Wie?«
    Die wundervollen Augen meiner Mutter sahen mich an. »Sie verfolgen mich schon seit langer Zeit.«
    Ich bekam keine Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen – Schüsse und Schreie weiter vorn hinderten mich daran. Ich hob gerade rechtzeitig genug den Blick, um einen roten Blitz zu sehen, der zwei Waggons entfernt eine Verbindungstür zerstörte. Was jenseits davon geschah, blieb hinter dichtem Rauch verborgen, aber ich hörte weitere Schreie, und entsetzte Passagiere platzten in unseren Waggon.
    Und über ihre Köpfe hinweg sah ich zwei weitere Spartoi, die in unsere Richtung stürmten. Und dann sprangen wir wieder, in gewisser Weise.
    Diesmal schienen nicht wir uns zu bewegen, sondern die Szene um uns herum. Der Zug änderte sich kaum, bis auf die Werbung an den Wänden, die erst verblasste und dann kräftige Farben gewann.
    Die größten Veränderungen betrafen die Leute: Sie flossen ineinander, bekamen dann neue Konturen und wurden zu anderen Menschen, als uns der Zeitstrom weitertrug. Tage, Wochen und Monate von Passagieren strömten an uns vorbei, mit einzelnen Gesichtern, die kurz in der oft amorphen Masse erschienen, so wie auch wir für jene Leute kurz zu sehen sein mussten, als wir nicht nur durch die Zeit liefen, sondern auch durch den Raum in Form von Zugabteilen.
    Meine Füße schmerzten, mein Körper tat weh, und ich war halb davon überzeugt, eine verdammte Gehirnerschütterung zu haben.
    Und wenn schon. Ich hatte das vage Gefühl, mit offenem Mund zu glotzen, aber auch das war mir schnuppe. Nie zuvor hatte ich so etwas gesehen.
    Was natürlich für viele der Dinge galt, die in jüngster Zeit geschehen waren. Ich fragte mich, ob es bei der Ausbildung – bei einer echten Ausbildung, von der Art, wie ich sie nie bekommen würde - auf diese Weise zuging. Agnes hätte sicher Gefallen daran gefunden, eine verrückte Hindernisstrecke für mich vorzubereiten. Vermutlich hätte sie mich herausgefordert: Entweder gelang es mir, mit ihr Schritt zu halten, oder ich blieb an irgendeinem anderen Ort zurück, in einer anderen Zeit.
    Aber das hier war keine Ausbildung, sondern bitterer Ernst. Und zurückzubleiben hätte nicht nur eine Unannehmlichkeit bedeutet und die Rückkehr erschwert, sondern sie ganz unmöglich gemacht.
    Wenn ich die halbminütige Erklärung einigermaßen richtig verstanden hatte, war es den Spartoi gelungen, meine Mutter mit einem Zauber zu belegen, der sie auf eine spezielle Art und Weise miteinander verband. Das bedeutete: Wohin meine Mama auch sprang, die Halbgötter kamen huckepack mit. Der Zauber hinderte sie auch daran, jene Tricks zu verwenden, die ich bei der Party gesehen hatte – sie konnte, was die Spartoi betraf, weder die Zeit anhalten noch

Weitere Kostenlose Bücher