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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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sich kühl an auf meiner heißen Haut. Blaue Augen richteten einen besorgten Blick auf mich, und ich schämte mich bei dem Gedanken, was diese Augen sahen. Zerzaustes Haar klebte an meinem schweißfeuchten Gesicht, meine Sachen mussten völlig verdreckt sein, und ich war der Panik nahe, als mir immer klarer wurde, dass ich auf verlorenem Posten kämpfte.
    »Wir haben es fast geschafft«, sagte meine Mutter sanft, und ich nickte, weil ich nicht genug Kraft hatte, etwas zu sagen, und weil mir ohnehin keine Worte einfielen, die einen Sinn gehabt hätten.
    Dann folgten die Sprünge noch schneller hintereinander, und was bisher unerträglich gewesen war, wurde unmöglich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es schaffte, nicht hinter meiner Mutter zurückzubleiben. Ich konnte nicht mehr denken, konnte nichts sehen, konnte nicht einmal sicher sein, dass sich meine Füße bewegten, denn ich fühlte sie gar nicht mehr. Aus Tagen wurden Monate, Jahre und Jahrzehnte, die Zeit blätterte an uns vorbei wie die Seiten eines Buches – eines Buches, das immer mehr zerfledderte, und ich schrie voller Schmerz und Zorn. Weil ich nicht stark genug war, weil ich nicht mit meiner Mutter Schritt halten konnte, weil ich bei der einen Sache versagte, bei der ich eigentlich gut sein sollte, und ich konnte einfach nicht mehr…
    Plötzlich spürte ich ein schreckliches Zerren, als wollte mich etwas auseinanderreißen, und ich begriff: Unsere Magie zog und zerrte und riss, als meine Mutter den Kurs änderte und ich gegen die Strömung ihrer Macht ankämpfte und mich in eine andere Richtung wandte. Aber sie war stark, unglaublich stark, und ich hatte einfach keine Kraft mehr übrig, und ich spürte, wie ich wankte und taumelte …
    Und dann retteten mich die verdammten Spartoi. Sie schossen noch wilder als vorher, und voller Panik stoben Menschen vor ihnen auseinander – und kamen direkt auf uns zu. Es half nicht, dass die durchgeknallten Leute für gewöhnlich verschwanden, bevor sie uns erreichten. Ich zuckte trotzdem zurück, weil ich eine Kollision befürchtete, und ich war selbst der Panik so nahe, dass ich mich kaum auf den nächsten Sprung konzentrieren konnte.
    Ich strauchelte, und mein Griff um die Zeit lockerte sich, als meine Konzentration nachließ. Und plötzlich – endlich – begriff ich, dass ich gar nicht von meiner Mutter wegspringen musste. Es genügte, wenn ich irgendwo verharrte und ihr die Möglichkeit gab, sich mit einem Sprung von mir zu entfernen.
    Und dann stieß ein großer Bursche in einem altmodischen Anzug und mit Melone gegen mich. In einem Durcheinander aus Tweed, Leder und empörter rosaroter Haut gingen wir zu Boden, und irgendwo in dem Knäuel musste es auch einen Regenschirm geben, denn er bohrte sich mir in den Rücken. Und dann zog mich Mircea hoch, und ich fühlte, dass etwas Wunderbares geschehen war.
    Wir hatten angehalten.

Achtunddreißig
    Vermutlich war ich in Ohnmacht gefallen, denn ich erwachte in einem seltsamen Bett, das in einem seltsamen Zimmer stand, mit Blick auf eine seltsame Stadt jenseits des kleinen Balkons. Doch der Mann vor der Fenstertür wirkte vertraut. Sanfter Wind wehte herein, bewegte Mirceas dunkles Haar und die dünne Seide seines Morgenmantels, als er den Kopf drehte und mich ansah.
    Er sagte nichts, und ich schwieg ebenfalls. Stumm trat er näher, setzte sich auf die Bettkante, beugte sich vor und strich mir einige Locken aus der Stirn. »Ist dir kalt?«
    Ich schüttelte den Kopf. Unter der Daunendecke war ich nackt, aber sie verlieh mir angenehme Wärme, wobei die Füße die einzige Ausnahme bildeten. Sie ragten unter der Decke hervor und waren kalt, aber sie waren auch heil und unverletzt, was ich vermutlich Mircea verdankte. Der Rest von mir fühlte sich ziemlich gut an. Ich war müde, aber noch in einem Stück und am Leben.
    Ich gelangte zu dem Schluss, dass mir die Temperatur egal war.
    Es fühlte sich zu gut an, die Kälte zu fühlen. Es fühlte sich gut an, überhaupt etwas zu fühlen.
    Mircea mussten ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein, denn er zog mich heran, bis er sein Kinn auf meinen Kopf stützen konnte. Normalerweise gefiel mir das nicht sehr, weil es da oben nicht genug Haar als Polsterung gab, aber an diesem Abend… An diesem Abend genoss ich es.
    »Deine Mutter war eine außergewöhnliche Frau«, murmelte er nach einem Moment.
    »Mhm.«
    »Wie ihre Tochter.«
    Ich dachte kurz darüber nach und drehte dann den Kopf, damit ich sein Gesicht sehen

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