Verlockend untot
Magier in der Gasse, wie er kniete und sein Haar immer länger wurde, wie sich seine Kleidung auflöste, und dann der Körper darunter. Plötzlich hatte dieses Bild etwas Befriedigendes.
»Was möchtest du jetzt tun?«, fragte Mircea, als eine Gestalt über das Ende der Straße huschte. Zweifellos einer der entkommenen Magier. Ich musste sie in ihre Zeit zurückschicken, bevor sie hier - wo und wann auch immer »hier« war – Chaos stifteten. Aber ich verschob es auf später. Zuerst galt es, meine Mutter zu retten, denn sonst würde es gar kein Später geben.
»Ich möchte meine Mutter finden«, sagte ich mit Nachdruck.
»Dann machen wir uns auf die Suche.«
Zwei Straßen weiter stießen wir auf eine Gasse, die so aussah wie die erste, mit einem Unterschied: Am Ende dieser Gasse glühte vages goldenes Licht. Die Sonne war nicht plötzlich aufgegangen, und deshalb nahm ich an, dass es sich um künstliches Licht handelte.
Das Klappern von Pferdehufen auf Pflastersteinen, das Knarren von Wagenrädern und die nahen Rufe von Leuten, die etwas verhökern wollten, begleiteten dieses Licht.
Meine Mutter sah ich nicht, aber ich vermutete, dass sie hier gewesen war.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Mircea und deutete auf den Magier, der im Schatten neben uns lief.
Seine Arme pumpten, die Beine stampften, und sein langer Mantel wehte wie in einer steifen Brise, aber er kam nicht von der Stelle.
Außerdem schenkte er uns überhaupt keine Beachtung, was mich nicht sehr überraschte.
Für ihn waren wir noch gar nicht da.
Mircea runzelte die Stirn und streckte die Hand aus, als wollte er dem Burschen einen Stoß geben. Rasch griff ich nach seinem Arm.
»Tu das nicht.«
Er sah mich fragend an.
»Eine Zeitschleife«, sagte ich knapp und näherte mich dem Zugang der Gasse. Ich war vorsichtig und blieb in den Schatten einiger aufeinandergestapelter Kisten. Wahrscheinlich brachte meine Mutter so kurz nach der ersten keine zweite Zeitwelle zustande; wenn sie das geschafft hätte, wäre der Mann hinter uns vermutlich nicht mehr am Leben gewesen. Aber ich war mir nicht sicher, und die kleine Demonstration, die wir erlebt hatten, vergaß man nicht so leicht.
Ich sagte mir immer wieder, dass es nicht meine Mutter gewesen war, dass sie nicht die Absicht gehabt hatte, den Mann zu töten.
Aber es lief mir trotzdem kalt über den Rücken. Gott, was für ein schrecklicher Tod …
»Eine Zeitschleife?«, wiederholte Mircea und legte mir die Hand auf die Schulter.
Ich zuckte zusammen und hätte fast geschrien.
Er sah mich an und hob eine Braue, wirkte cool wie immer. Als sähe er jeden Tag irgendwelche Leute, deren Körper zerflossen und zu Pfützen wurden. Ich befeuchtete mir die Lippen und versuchte, mich zusammenzureißen.
»Er steckt in einer Wiederholung fest«, erklärte ich und sah zum Magier zurück, der seinen persönlichen Marathon lief.
»Und das bedeutet?«
»Es bedeutet, dass er dieselben Sekunden immer wieder erlebt, bis sich die Blase auflöst oder es ihm gelingt, aus ihr auszubrechen.«
»Er ist von einer Zeitblase umgeben?«
»Ja.«
»Und warum nehme ich sie nicht wahr?«. Mircea rümpfte die Nase, als glaubte er, in der Lage sein zu müssen, die Blase zu riechen.
Ich hielt das für unwahrscheinlich. Das Einzige, was ich riechen konnte, war Pisse. Offenbar diente die Gasse als eine Art Latrine.
»Hast du die andere wahrgenommen?«, fragte ich.
»Nein … nicht in dem Sinne. Aber ich habe etwas gesehen, wie eine Strömung in der Luft…«
»Vermutlich verursacht von verschiedenen Wettermustern, durch die sich jener Teil der Luft bewegte«, sagte ich und suchte nach einer Erklärung, während ich sprach. »Regen, Graupel, Schnee – bei schnellem Vorlauf sieht das recht seltsam aus.«
»Soll das heißen, dass ich eigentlich gar nichts gesehen habe?«
»Man kann die Zeit nicht sehen, nur ihre Auswirkungen.«
Mirceas Finger drückten fester zu. »Deine Mutter könnte also eine Zeitblase auf uns werfen, ohne dass wir etwas merken?«
»Etwas in der Art«, bestätigte ich grimmig.
Mircea zog mich plötzlich hinter sich.
»Das würde nicht helfen«, sagte ich und spähte zwischen den Kisten auf eine geschäftige Straße. »Wenn sie uns mit etwas träfe, wüsste ich mich wahrscheinlich nicht zu wehren. Und ohne dich könnte mich der Magier leicht erledigen.« Es war ihm gelungen, einen Meistervampir gegen eine Wand zu stoßen; das verhieß nichts Gutes.
»Wie sollen wir gegen etwas kämpfen, das wir
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