Verlockend untot
»Danke?«
»Gern geschehen.«
Und dann sprachen wir nicht mehr. Weil wir meine Mutter und ihren Entfuhrer entdeckten.
Elf
Es war nicht schwer, sie zu finden, denn sie fuhren uns fast über den Haufen. Es gab viele Fahrzeuge auf der Straße, die meisten von ihnen kleine, zweirädrige Vorrichtungen mit einem überdachten Bereich vorn, einem Fahrer, der hinten auf einem hohen Sitz saß, und einem einzelnen Pferd. Aber ich sah auch eins, das von einer jungen Frau in einem neonblauen Kleid gesteuert wurde.
Und es raste über den Bürgersteig.
Diesmal musste mich Mircea nicht zur Seite ziehen; die anderen Leute erledigten das für ihn. Die Menge teilte sich; eine Hälfte drängte auf die Straße und die andere zurück zur Kneipe. Mircea und ich endeten auf der Straße und mussten dann noch weiter zurückweichen, weil die kleine Kutsche wie trunken wankte und schleuderte.
Ich wusste nicht, wie viel meine Mutter von Pferden verstand, aber das Lenken schien nicht ihr Hauptproblem zu sein. Das waren wohl eher die beiden Kriegsmagier in der Kutsche hinter ihr, die Zauber nach ihr warfen, denen sie auszuweichen versuchte. Es gelang ihr mehr schlecht als recht, was wahrscheinlich erklärte, warum das Dach ihrer Kutsche brannte und warum die weit aufgerissenen Augen des Pferds voller Panik waren.
Allerdings wirkte das Pferd völlig ruhig im Vergleich zu dem Kidnapper, der im überdachten Bereich der Kutsche saß, sich mit den Händen an beiden Seiten festkrallte und sich die Lunge aus dem Hals schrie.
»Diese Idioten! Wollen sie meine Mutter töten?«, fragte ich, als ein weiterer roter Blitz zwischen den beiden Kutschen gleißte.
»Darauf deutet alles hin«, sagte Mircea grimmig.
Ich wandte den Blick lange genug vom Chaos ab, um ihn anzustarren. »Wie bitte?«
»Nach dem, was du über den Kreis weißt, Dulceata, was wäre ihm wohl lieber: eine voll ausgebildete Erbin in den Händen eines dunklen Magiers oder dieselbe Erbin tot?«
Ein Finger aus Eis strich mir über den Rücken. Denn ich brauchte nicht groß nachzudenken. Ich hatte gerade einen Monat damit verbracht, vor dem Silbernen Kreis meiner Zeit zu fliehen, der mich wegen meiner Abstammung, meiner Vampir-Beziehungen und ein paar Dutzend weiteren Gründen für eine Bedrohung hielt. Und der Kreis löste solche Probleme, indem er tötete, umbrachte und abmurkste.
Verdammt und zugenäht!
Auf der anderen Straßenseite gab es ebenfalls einen Bürgersteig, und ich brachte uns mit einem Sprung dorthin, was uns einen kleinen Vorsprung verschaffte. Aber nicht für lange. Die beiden Kutschen waren klein und leicht, was es ihnen erlaubte, den schwereren Fahrzeugen auf der Straße auszuweichen, die ohnehin versuchten, ihnen nicht im Weg zu sein. Doch ein hoch mit Fässern beladener Wagen war zu schwer und zu langsam – er wurde von einem Zauber getroffen, der meine Mutter um ein Haar verfehlte.
Was auch immer die Fässer enthielten, das Zeug musste leicht entflammbar sein. Die Tonnen explodierten mit grellem Licht, sengender Hitze und einem die Trommelfelle gefährdenden Krachen, setzten den Karren in Brand und schleuderten kleinere Fässer wie hölzerne Kanonenkugeln gen Himmel. Zuvor hatte ich die Straße für chaotisch gehalten, aber das war nichts im Vergleich hiermit.
Pferde mochten kein Feuer, keinen Lärm und keine plötzlichen Ereignisse, und für die Pferde auf der Straße kamen diese drei Dinge zusammen. Wildes Durcheinander brach aus: Tiere stoben in alle Richtungen, Menschen rannten umher, und brennende Fässer regneten vom Himmel. Eins von ihnen fiel auf die Markise eines Tabak-warenladens, die der Inhaber einzuholen vergessen hatte. Der grüne Stoff ging in Flammen auf, direkt neben zwei weiteren Pferden.
Unter anderen Umständen wäre das vielleicht nicht weiter schlimm gewesen, doch besagte Pferde waren vor einen Doppeldeckerbus gespannt, der gerade angehalten hatte, um einige Fahrgäste aussteigen zu lassen. Die betreffenden Männer und Frauen mussten sich am Geländer festklammern, als die erschrockenen Pferde losliefen. Ich sah erneut meine Mutter, als ihre Kutsche und der Bus Seite an Seite zur Brücke rasten, und Mircea ergriff meinen Arm.
»Kannst du uns mit einem Sprung auf die Kutsche bringen?«
Ich starrte ihn groß an und fragte mich, an welcher Stelle er den Verstand verloren hatte. Aber er schien die Frage völlig ernst zu meinen und darin tatsächlich eine gute Chance für uns zu sehen. Es half nicht, dass ich seine Meinung
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