Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
Vom Netzwerk:
es war auch gar nicht nötig, sie genau zu erkennen. Sie verriet sich durch ihre Wirkung.
    Der Gehsteig vor der Gasse bekam Risse, und die Straße davor bewegte sich plötzlich wie ein zorniges, aufgewühltes Meer. Die einzelnen Pflastersteine hüpften wie Klaviertasten auf und ab, als sich Erde und Sand zwischen ihnen veränderten. Mir wurde klar: Ich beobachtete Jahrhunderte der Abnutzung, zu wenigen Sekunden komprimiert.
    Es hörte nicht mit der Straße auf. Ein Laternenpfahl auf der anderen Straßenseite wurde krumm, als sich das Metall verzog und Rost zum Opfer fiel. Die Lampe oben zersprang, und dann fiel die ganze Straßenlaterne in sich zusammen und zerplatzte auf den Pflastersteinen, die sich aus der Straße gelöst hatten.
    Und es hörte auch damit nicht auf. Der Zaun an einer Wiese verwandelte sich plötzlich in bronzenen Staub, der kurz im Mondschein glitzerte. Die Blumen eines kleinen Beets blühten und verwelkten, blühten erneut, und neben ihnen schnellte ein Schössling gen Himmel. Äste schwollen an, Rinde schien zu fließen, und zahlreiche Blätter bildeten sich. Eicheln prasselten wie Regen, als die Blätter braun wurden und fielen, und sofort bildeten sich neue, umgaben den dicker werdenden Stamm wie mit einem grünen Mantel.
    Ich blinzelte, und als ich erneut hinsah, war aus dem Schössling ein Baum geworden, mit weiten Ästen und Zweigen, die unter dem dunklen Nachthimmel eine ausladende Krone bildeten. Ich blickte nach oben und atmete schneller, weil ich es einfach nicht fassen konnte.
    Das mit dem Springen hatte ich so hingenommen, in dem Glauben, dass der Magier vielleicht einen Zauber gelernt hatte, den die anderen nicht kannten, oder dass ihn eine besondere Fähigkeit in die Lage versetzte, die benötigte Kraft zu kontrollieren. Selbst reines Glück hatte ich für möglich gehalten. Aber das? Nur eine Pythia war zu so etwas imstande, und sie musste auch noch sehr gut ausgebildet sein.
    Oder ihre ebenso gut ausgebildete Erbin.
    Mein Kopf drehte sich wie von allein, und mein Blick kehrte zur dunklen Öffnung der Gasse zurück. Sie sah jetzt ein bisschen anders aus. Die Ziegelsteine zu beiden Seiten waren rissig und grau, fehlten hier und dort ganz, weil sie zerbröselt waren. Nach dem Magier hielt ich vergeblich Ausschau; nichts deutete daraufhin, dass dort in jener Gasse ein Mann gestorben war.
    Aber ich hatte mich nicht getäuscht.
    Und ich wusste auch, wer für den Tod des Mannes die Verantwortung trug: meine Mutter.
    »Ich glaube, es hat aufgehört«, sagte Mircea leise und beobachtete einen nahen Sprungbrunnen. Soweit ich das feststellen konnte, hatte die Zeitwelle dem dortigen Metall nur etwas mehr Grünspan hinzugefügt. Eigentlich hätte ich erleichtert sein sollen, denn ich hätte nicht gewusst, was ich gegen die Zeitwelle unternehmen sollte, wenn sie weiterhin aktiv gewesen wäre.
    Aber ich fühlte keine Erleichterung.
    »Warum sollte sie ihm helfen?«, fragte ich heiser.
    Mircea musterte mich. Ich konnte sein Gesicht kaum erkennen, denn von der nächsten Straßenlaterne waren nur einige rostige Teile auf dem Pflaster übrig geblieben. Mircea klang nicht überrascht, als er antwortete; vermutlich waren ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen. »Er muss sie dazu gezwungen haben.«
    »Aber… warum? Wenn er ihr seinen Willen aufzwingen kann …
    Dann hätte er ihr einfach befehlen können, sich selbst zu töten!
    Dann wäre dies alles gar nicht nötig gewesen!«
    »Wenn es ihm darum ging, sie zu töten – warum hat er sie dann nicht bei der Party umgebracht? Warum ein Risiko mit dem Versuch eingehen, eine solche Macht zu kontrollieren?« Mircea klang beeindruckt, als hätte er nie gesehen, wozu eine Pythia in der Lage war.
    Und vielleicht hatte er das tatsächlich nicht.
    Für mich war das alles absolut neu.
    »Warum hat er sie überhaupt mitgenommen?«, fragte ich.
    »Wie du schon gesagt hast: Das Ziel der Gilde besteht darin, die Zeit durcheinanderzubringen. Aber die Gildenmitglieder sind nicht mächtig genug, überall dorthin zu reisen, wohin sie reisen möchten.
    Und selbst wenn es ihnen gelingt, genug Energie für einen Sprung zu sammeln, wie auch immer – es bleibt das Problem der Kontrolle.
    Vielleicht haben sie beschlossen …«
    »Dass es einfacher für sie wäre, sich eine willfährige Pythia zuzulegen«, krächzte ich. »Als eine Art Taxifahrerin für sie.«
    »Es würde einen Sinn ergeben.«
    Ich sagte nichts darauf. Vor dem inneren Auge sah ich noch einmal den

Weitere Kostenlose Bücher