Verlockend wie ein Dämon
zurück. Er hatte Lenas iPhone genau gefilzt, als er sie zum ersten Mal erwischt hatte. In ihrem Adressbuch hatten sich keinerlei Kontaktadressen befunden, von einigen Reisebüros und Schnellimbissen einmal abgesehen. Keine Kommentare oder Nachrichten an oder von jemandem. Und trotzdem hatte sie Kontakt mit Leuten aufnehmen können, rasch und mühelos, direkt vor seiner Nase. »Wie erreichst du sie denn?«
»Über die Internetplattform, über die wir schon gesprochen haben. Ich schicke eine Mail an eine Mailbox oder eine Nachricht an eine extra eingerichtete Telefonnummer.«
»Wie – extra eingerichtet?«
»Spielt das eine Rolle?«
Zur Hölle, ja, es spielte eine Rolle. Es bedeutete, dass sie Teil einer gut geölten Maschinerie war, über die er nichts wusste. Es stellte sein Bild von ihr auf den Kopf. Er war die ganze Zeit schon davon ausgegangen, dass sie irgendwelche Verbindungen hatte. Es wurmte ihn nur, dass es keine beiläufigen Bekanntschaften waren, sondern eventuell Menschen, auf die sie sich verließ, wenn es darum ging, sich aus einer misslichen Lage zu befreien. Es wurmte ihn, weil er nämlich diese Rolle für sich selbst ausersehen hatte.
Der Retter in der Not.
Aber es sah so aus, als hätte er Lena in einem ganz falschen Licht betrachtet. Vielleicht war sie wirklich das habgierige Biest, für das jeder sie hielt.
Er schloss die Augen.
Nein. Die Schatten in ihren Augen waren echt gewesen. Der nervöse Pulsschlag war echt gewesen. Verflucht. Wem wollte er etwas vormachen? Er hatte keine Ahnung mehr, was noch real war. Sein blindes Lena-Vertrauen würde ihn noch in Schwierigkeiten bringen. Er wünschte sich so sehr, dass diese ernsthafte Seite an ihr echt war. Sie
musste
echt sein, sonst war das wunderbare Flattern, das er immer spürte, wenn er nur ihre Hand hielt, eine böse Täuschung.
»Gut«, sagte er mit gequältem Lächeln. »Du streckst die Fühler nach deinen Kumpanen aus, während ich mir im Hotel-Spa eine Massage verpassen lasse. Mit ein bisschen Glück bekommen wir deinen kleinen Freund ins Fadenkreuz, ohne uns groß anstrengen zu müssen.«
Nachdem Ems Handy zum vierten Mal innerhalb von zwei Minuten geläutet hatte, stellte sie es aus. Sie war nicht in der Stimmung, sich von Murdoch schikanieren zu lassen. Nicht nur, dass sie dank eines ihrer gruseligen Albträume Schlaf versäumt hatte – ihre Shoppingtour mit ihren Freundinnen, zu der sie sich davongestohlen hatte, verlief nicht so erfolgreich wie gehofft.
»Weißt du, was verrückt ist?«, fragte sie ihre beste Freundin Sheila, während sie eine grüne Paprikaschote aus ihrem Sandwich pulte. »Ich fühle mich beschissen, weil ich abgehauen bin, obwohl ich seit einer Ewigkeit keinen Ausgang mehr hatte.«
»Schlechtes Gewissen«, entgegnete Sheila achselzuckend. »Du hast einen Priester als Stiefvater. Was erwartest du?«
»Er ist gar –« Em unterbrach sich. Das hätte ein seltsames Gespräch gegeben.
Eigentlich ist er kein Priester, er ist ein vierhundert Jahre alter Toter, der seine Seele zurückbekommen hat.
Super, oder? »… gar nicht so übel. Nur irgendwie altmodisch.«
»Meinetwegen. Denk nicht mehr dran,
chica
.«
»Okay.« Wenn es nur so einfach wäre. Aber wenn man die Dreifaltige Seele war, auf deren Schultern das Schicksal der Welt lastete, war nichts einfach. Im Augenblick konnte sie nur daran denken, wie enttäuscht Michael von ihr wäre, wenn er wüsste, dass sie hier saß, anstatt zu Hause zu versuchen, die Münze zurückzuverwandeln.
Die Mädchen einigten sich darauf, welchen Laden sie als Nächstes ansteuern würden, und ergriffen ihre Handtaschen und Einkaufstüten. Als sie vom Tisch aufstehen wollten, sah Sheila über Ems Schulter.
»Oha.«
Man musste kein Genie sein, um sich zusammenreimen zu können, wer da gerade durch das Lokal auf sie zukam. Em widerstand dem Drang, sich umzudrehen, und wartete, bis die schweren Schritte Halt hinter ihr machten.
»Emily Jane MacGregor.«
Ihre Freundinnen mussten über Murdochs schottischen Akzent grinsen. Selbst Sheila schmolz ein wenig dahin und warf ihr langes Haar zurück. Zu Ems immenser Erleichterung schien keine von ihnen zu registrieren, dass Murdoch sie bei ihrem grässlichen zweiten Vornamen genannt hatte. Sie fuhr zu ihrem Gefängniswärter herum. »Lewis! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich Lewis heiße?«
Seine Arme waren über seiner enormen Brust verschränkt, und sein Blick ruhte schwer auf ihr, trotz Sheilas Versuch, seine
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