Verlockende Versuchung
verlieren. Ich hatte sie, das weiß ich ... «
»Beruhigt Euch. Sie befindet sich in Sicherheit.«
Doch seine Worte übten keine besänftigende Wirkung auf Devon aus. »Sie gehört mir! Ich will sie zurückhaben!«
Sie beobachtete, wie er sich erhob und auf den prunkvoll gemeißelten Marmorkamin zuschritt, um sich dann erneut zu ihr umzuwenden, die starken Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sein Bruder fuhr fort, sich das Schauspiel von der Tür aus anzusehen.
»Sobald der rechtmäßige Besitzer festgestellt werden kann«, sagte der Marquess mit emporgezogener Braue, »wird der rechtmäßige Besitzer sie zurückerhalten.«
»Der rechtmäßige Besitzer ... Was wollt Ihr damit sagen?«
Seine Augen waren kalt wie Stein. » Damit will ich sagen, dass ich kein Dummkopf bin, Miss St. James. Ich kann mir gut vorstellen, wie Ihr Euch Eure Verletzung zugezogen habt, und ich lasse mich nicht an der Nase herumführen. Ein Streit unter Dieben zum Beispiel ... «
»Ich bin keine Diebin!«, rief sie empört. »Mir wurde mein Geldbeutel gestohlen! «
»Euer Geldbeutel«, wiederholte der Marquess. »Randvoll mit Euren Münzen gefüllt, da bin ich mir sicher. «
» J a,ja! Da waren diese beiden Männer ... «
»Ach, jetzt sollen es schon zwei Männer gewesen sein. Und ohne Zweifel handelte es sich um Ganoven.«
In Devons Magen machte sich ein schreckliches, unwohles Gefühl breit.
»Ihr wisst Euch viel besser auszudrücken, als ich erwartet hätte, das muss ich Euch lassen, Miss St. James.«
Sie reckte das Kinn. » Das habe ich von meiner Mutter gelernt.«
» Und wer war Eure Mutter? «
»Na, die Königin von England natürlich! «
»Das würde bedeuten, dass Ihr eine Prinzessin seid. In dem Fall möchte ich Euch aufs Wärmste zu Eurem ausgesprochen guten Verkleidungstalent gratulieren. «
Devon folgte seinem Blick, der auf einen Stuhl neben der Tür gerichtet war, über dessen hoher Lehne ihr zerlumpter Umhang und ihr Kleid hingen ... und das Kissen, das sie sich darunter gestopft hatte.
Zum Teufel mit seiner Arroganz! Wie konnte er es wagen, sie zu verurteilen?
Wie schon ihre Mutter vor ihr war Devon nicht wie die übrigen Menschen, die in den schmutzigen Seitengässchen Londons lebten und arbeiteten. Trotz dieses Andersseins - oder vielleicht sogar deshalb - hatte sie gelernt zu überleben. Es lag nicht daran, dass sie stärker welch lachhafter Gedanke bei ihrer zierlichen Statur! oder aber gerissener und gemeiner wäre. Doch sie war klug genug, sich erst gar nicht in Situationen zu bringen, die sich als unangenehm herausstellen könnten.
Eben dies war der Grund ihres sonderbaren Aufzugs gewesen. Wenn man gezwungen war, sich j ede Nacht auf die Straße von St. Giles zu wagen, tat man es besser auf diese Weise. Zu Beginn ihrer Anstellung im Crow's Nest hatte Devon in Erwägung gezogen, sich als Mann zu verkleiden, doch zu ihrem Leidwesen war die Wahrscheinlichkeit, für einen Mann gehalten zu werden, in ihrem Fall verschwindend gering. Schuld daran waren ihre üppigen Brüste und das widerspenstige Haar" das ihr ständig in einem wilden Vorhang um die Schultern fiel. Glücklicherweise schenkte allerdings so gut wie niemand einer Frau Beachtung, die, wie Bridget es so gerne formulierte, aussah, als könne sie jeden Moment ihre Brut werfen.
»Man fragt sich unwillkürlich, was Ihr zu so später Stunde auf der Straße getrieben haben mögt. Ein wenig frische Luft schnappen vielleicht? « , wollte der Marquess wissen.
Entgeistert starrte Devon ihn an, da ihr keineswegs entgangen war, was er meinte. »Ihr haltet mich nicht nur für eine Diebin, sondern 'obendrein für eine Dirne.«
Er sagte kein Wort, was auch nicht nötig war, da seine Antwort in der Art und Weise lag, mit der er seinen kristallklaren Blick über ihren Körper schweifen ließ.
Zornentbrannt zog sich Devon die Überdecke bis ans ans. Am liebsten wäre sie ihm ins Gesicht gesprungen.
»Wie sagtet Ihr doch gleich, laute Euer Name?«, wollte sie gelassen wissen. »Lord Mistkerl? «
Seine Haltung versteifte sich merklich. »Wie bitte?«
»Oh, da muss mir mein Gedächtnis einen Streich gespielt haben. Verzeiht. Dann muss es Lord Bastard ... «
Mit drei Schritten durchmaß er das Zimmer und stand wieder an ihrem Bett. »Hütet Eure Zunge, Miss St. James. In meinem Haus verbitte ich mir jegliche Gossensprache. Andererseits war wohl von einem Straßenmädchen nichts anderes zu erwarten.«
Der Marquess stand über ihr. Groß. Nicht bedrohlich,
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