Verlockendes Dunkel
den Mord an seinem Vater, den er sich nur vorstellen konnte, und auch nicht die echte Erinnerung an das Gemetzel an Freddie und seiner Familie.
Warum ließen die Geister ihn nicht in Ruhe? Was musste er tun, um sie wegzuschicken? Um ohne sie in seinem Kopf zu leben?
Wie um ihn zu verhöhnen, tauchte ein neues Gesicht aus seinen Albträumen auf, ein Monster mit Fängen und Krallen. Eine aus Rauch und Schwefel geborene Kreatur voller Bosheit, die über ihm schwebte, wartete, beobachtete und wusste, dass ihre Zeit bald kommen würde.
Ihr Mund öffnete sich, sodass ein blutiger Rachen mit einer dicken, gespaltenen Zunge sichtbar wurde. »Ana N’thashyl gorloa agasesh gelweth. A’sk beuewik perthyana, Erelth« , kam aus diesem ekelerregenden Maul.
Todesqualen trieben Brendan den Atem aus der Lunge und ließen das Blut in seinen Adern kochen. Schlagartig erwachte er aus dem Schlaf, und der Unsichtbare verschwand. Auch Freddie war verschwunden.
Aber als hätte sein alter Freund ihn beiseitegenommen und ihm die Lösung ins Ohr geflüstert, wusste Brendan plötzlich, was er tun musste, um die Albträume, die Bedrohung und die Gefahr zu beenden.
Máelodor musste sterben.
Und Brendan war der Einzige, der das erreichen konnte.
Auf einem Stuhl am Fenster wachte Elisabeth bei Brendan. Sie hatte es geöffnet, um den muffigen Raum zu lüften, doch nichts schien die drückende, übel riechende Luft vertreiben zu können. Der Rauch von Kochfeuern, vermischt mit dem Gestank von Latrinen und Tierdung aus der nahen Gasse, drang mit einer säuerlich riechenden Brise in das Zimmer. Geschrei und derbes Gelächter stiegen aus dem Gewirr der umliegenden Straßen auf. Ein Bettler schnarchte im Schatten einer zerrissenen Plane, und eine hohläugige Frau mit ihrem Kind an ihrer Seite durchstöberte einen Abfallhaufen, während Hühner in dem Schmutz zu ihren Füßen herumpickten.
Elisabeth hüllte sich noch fester in ihr Umschlagtuch und wandte sich von den deprimierenden Anblicken hinter dem Fenster dem Mann zu, der neben ihr schlief. Ein Arm lag auf der Bettdecke, dessen Schulter noch rosa und glänzend war von frischen Narben, und die Kurve der Mondsichel mit dem Pfeil hob sich wie ein dunkles Band von der bleichen Haut ab.
Er schlief seit dem Morgen ruhig und friedlich. Vor ein paar Stunden hatte er noch nach dem mysteriösen Freddie gerufen und ihn zuerst gebeten, sich zu ergeben, und ihn später um Vergebung angefleht. Eine verschwommene Erinnerung hatte zunächst noch an Elisabeths Unterbewusstsein genagt, aber als Brendans Anfälle seltener wurden und schließlich ganz aufhörten, wandten ihre Gedanken sich dringenderen Fragen zu.
Ob die Amhas-draoi noch immer nach ihm suchten? Oder ihn sogar hier aufspüren würden? Würde ihr Unterschlupf schon bald zu einer Falle werden? Was, wenn Máelodors Männer ausgerechnet diesen Moment wählten, um anzugreifen?
Elisabeth zwang sich, nicht mehr über Probleme nachzugrübeln, für die sie keine Lösung hatte. Stattdessen sah sie zu, wie Brendan gegen eine Krankheit ankämpfte, die laut Madame Arana nur von der Zeit kuriert werden konnte. Eine weitere Facette eines Mannes, den sie einmal zu kennen geglaubt hatte.
Erst jetzt kam sie nach und nach zu der Erkenntnis, dass dieser Mann nie existiert hatte. Er war ein Trugbild gewesen. Blendwerk. Eine glitzernde magische Illusion, an die sie sich noch lange, nachdem sie es schon hätte besser wissen müssen, geklammert hatte.
Doch was war mit dem Brendan, der mit allen Mitteln versuchte, seine Verbrechen wiedergutzumachen? Der sogar sein Leben riskierte, um die Gräuel ungeschehen zu machen, die er als Mitglied der Neun entfesselt hatte? Der um eine verlorene Familie und ein Zuhause weinte, von denen er befürchtete, sie nie wiederzusehen?
Es waren keine Fantasien, die ihr Bild von diesem Mann gestalteten. Sie sah ihn, wie er war: verzweifelt, einsam und allein. Und so real wie der warme, muskulöse Arm unter ihren Fingern, der mutwillige Glanz in seinen Augen, der würzige, fremdartige Duft, der ihrem Haar, ihren Kleidern und ihrer Haut angehaftet hatte, als er sie geliebt hatte.
Das verblassende Tageslicht ließ den Raum grau, kalt und noch öder erscheinen, als er es ohnehin schon war. Brendans Hand bewegte sich auf der Decke, sein Atmen wurde zu einem Seufzer, und seine Augen öffneten sich langsam. Benommen zunächst noch, schärften sie sich plötzlich und wurden hart wie Diamanten.
Ruckartig setzte er sich auf und zog sich an
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