Verlockendes Dunkel
Zunge angeschwollen. Sie konnte nicht blinzeln und sich nicht rühren. Nur deshalb sah sie das letzte flüchtige Bild – den zerschmetterten Körper eines Mannes unter einem roten, rauchverschmutzten Himmel. Ein Schmerzensschrei, der Elisabeth das Blut in den Adern gefrieren ließ, stieg zu diesem Himmel auf.
Würgend und mit einem erstickten Stöhnen riss sie sich von dem Spiegel los und warf sich in Madame Aranas offene Arme. Elisabeths Schluchzen brach die eisige Schale auf, die sie umschloss, und Tränen versengten ihre Wangen und rannen heiß und bitter in ihren Mund.
»Was ist denn, Kindchen? Was hat der Spiegel dir gezeigt?«
»Brendan wird nicht allein sein.« Elisabeth schloss die Augen, aber das Bild versengte ihr Gehirn wie Feuer. »Ich werde bei ihm sein, wenn er stirbt und Máelodor den Sieg für sich in Anspruch nimmt.«
Norden. Süden. Osten. Westen.
Erde. Luft. Wasser – Máelodor hielt eine Flamme an den Docht – Feuer.
Alles war bereit, um aus der in der vereinten Kraft von Himmelsrichtungen und Elementen enthaltenen Magie zu schöpfen. Um das Gefüge zwischen dieser Welt und dem Abgrund der Unsichtbaren zu zerreißen.
Als Máelodor in den Kreis trat, fühlte er augenblicklich die Macht der verbotenen Magien in sich eindringen. Schmerz berührte ihn nicht mehr, Unsicherheit schwächte ihn nicht länger. Er war nicht mehr an ein einziges Universum gebunden. Sein Bewusstsein erstreckte sich jetzt auf andere Welten, andere Ebenen des Seins, während er auf einem Gedankenstrom dahinreiste. Die Erlangung dieser Macht hatte ihn einen hohen Preis gekostet – einige würden sogar sagen, einen zu hohen –, aber er wusste es besser. Wissen erforderte Opfer. Genau wie Siege.
Und er wollte beides.
Als er die Blutrunen auf den Boden warf, rang seine Lunge nach Atem, weil Luft und Licht durch ein nadelfeines Loch nach außen flossen, als hätte jemand ein Messer in die Welt getrieben und zöge mit einem brutalen Schnitt einen Riss hinein. Hinter dem Riss tauchte eine furchtbare Leere auf, ein Abgrund eisigen, ewigen Nichts, das die Wohnstätte des Dunklen Hofes war. Und eine Stimme erhob sich aus dieser Einöde wie der Ruf der Loreley – rein, schwermütig und voller Schmerz. »Ist die Zeit gekommen, oh Großartiger? Können wir Euch endlich unsere Dankbarkeit und Loyalität beweisen? Eure bescheidenen Diener können es kaum erwarten, sich Euch anzuschließen.«
»Geduld«, erwiderte Máelodor. »Der Stein wurde gefunden. Es wird jetzt nicht mehr lange dauern, bis Artus an meiner Seite steht und ich euch die Tore öffnen werde. Gemeinsam werden wir jeden Widerstand überwinden. Die Duinedon werden keine Chance haben.«
Ein langes Schweigen entstand, und alles, was zu hören und zu sehen war, war ein Gebrüll und die höllische Leere des Abgrunds hinter dem Riss, die von einer Million flackernder Schwarztöne erfüllt war. Dann: »Die Magier vermuten nichts? Sie würden uns aufhalten, wenn sie könnten.«
»Sie wissen nach wie vor nichts von unserem Vertrag.« Máelodor fühlte, dass seine ganze Essenz in das Loch gezogen wurde und die Unsichtbaren an ihm nagten wie Würmer an einer Leiche. Doch in diesem Fall ersetzten sie, was sie ihm stahlen, mit Teilen von sich selbst. Mit Dunkel für Licht und Macht für eine Seele. Sie verstanden, dass es ihre einzige Chance auf Befreiung aus ihrem Gefängnis war. »Eure Vertuschungszauber, verbunden mit meinen eigenen Manipulationen, haben sie woandershin schauen lassen, sodass ich in aller Ruhe weitermachen konnte.«
»Wir warten nur noch auf Euch, unseren Herrn und Befreier. Wenn das Tor geöffnet wird, werden wir kommen und kämpfen. Es wird sein, wie Ihr befehlt.«
Máelodor lächelte und fuhr sich in freudiger Erwartung mit der Zungenspitze über die Lippen. »Dann geht, haltet eure Armeen bereit und erwartet meinen Ruf!«
Er bückte sich, um mit einer Hand die Runen und das Blut, in dem sie geschrieben waren, zu verwischen. Sofort schloss sich der Riss zwischen den Welten und wurde wieder zu vier, von ebenso vielen Gegenständen gekennzeichneten Ecken – einer Kerze, einem Häufchen Erde, einer Adlerfeder und einem flachen Teller Wasser.
Während der Sprung in der Erde verheilte, erhob sich eine letzte Stimme wie der Todesschrei von Millionen: » Erelth, skoa . Bald.«
Kapitel Einundzwanzig
M acklin’s, dessen Fenster von einem halben Jahrhundert Rauch und Schmutz beschlagen waren, befand sich auf halber Höhe der Cutpurse Row. Von der
Weitere Kostenlose Bücher