Verlockendes Dunkel
Ich war schwach. Aber jetzt nicht mehr. Ich bin hier, um meine Schuld bei dir zu begleichen. Eine Pistole, ein Messer. Such dir eine Waffe aus!«
»Setz dich verdammt noch mal wieder hin und reiß dich zusammen, Mann!« Brendan stieß Daz auf den Stuhl zurück. »Hier. Trink das!«, sagte er und schob ihm seinen unberührten Bierkrug zu.
Der alte Mann stürzte das Bier so gierig hinunter, dass es ihm über die eingefallenen Wangen lief. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Danke, Junge! Das brauchte ich. Wie nett von dir! Ein letzter Schluck vor dem Ende.«
»Ich werde dich nicht töten, Daz. Warum …«
Daz griff über den Tisch, nahm Brendans Hand zwischen seine Pranken und drückte sie. »Du bist ein großartiger Bursche. Das wusste ich schon immer. Besser als alle. Du hattest nicht den Wahnsinn in dir. Nicht wie die anderen.«
»Das ist fraglich, doch jetzt ist nicht der Moment …«
»Mir fällt ein Stein von meinem alten Herzen. Ich habe die Schuld so lange mit mir herumgetragen. Dachte, ich hätte dich ins Grab geschickt. Dachte, die Amhas-draoi hätten dich aufgespürt und ermordet wie die anderen. Mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Dann tauchte Aidan auf und sagte mir, du lebtest noch. Und da habe ich mich sofort dazu entschlossen, dir alles zu gestehen und meine Strafe anzunehmen.«
Brendan hatte das merkwürdige Gefühl, mitten in ein Gespräch von jemand anderem zu geraten, obschon während Daz’ Gerede ein Bild vor ihm erstanden war. Die Antwort auf eine Frage, die er sieben Jahre mit sich herumgeschleppt hatte: Warum?
Warum hatten die Amhas-draoi ihn angegriffen – nachdem er ihnen durch Daz hatte ausrichten lassen, dass er bereit war, ihnen den Sh’vad Tual zu übergeben? Warum hatten sie ihn mit solcher Beharrlichkeit in den darauffolgenden Jahren gesucht?
Er hatte vermutet, dass die Antwort in der Schwere seiner Verbrechen lag. Dass Scathach und die Bruderschaft seinen Tod bekannt gegeben hatten und alles Geringere, als sämtliche Spuren der Neun zu vernichten, als Misserfolg ansehen würden.
»Beruhig dich, Daz! Was geschah, als ich dich damals zu den Amhas-draoi schickte?«
Aherns Gesicht fiel in sich zusammen, und dicke Tränen rollten über seine Hängebacken, während er die Feder, das Stöckchen und den Kirschkern immer wieder neu anordnete, sie hierhin und dorthin schob und den Blick nicht von den merkwürdigen Mustern nahm. »Es lief wie vereinbart. Ich tat, was du sagtest. Keiner verdächtigte mich, und niemand hielt mich auf.«
»Hast du mit Scathach gesprochen?«
»Aye, die Kriegerkönigin ist genauso grimmig und gefährlich, wie die Leute erzählen, Brendan. Sie brauchte mich nur anzusehen, und mir war, als nähme sie Stück für Stück meinen Verstand auseinander und sähe jede geheime Schuld darin.« Er zog sein Taschentuch aus der Tasche und putzte sich wieder furchtbar laut die Nase. »Und da habe ich versagt. So viele Fragen, und alle redeten durcheinander. Scathachs Blick wich keine Sekunde lang von mir. Ich war verwirrt und konnte nicht mehr richtig denken. Ich hatte nie die Absicht, dir zu schaden oder dich gar zu verraten. Trotzdem war es meine Schuld, weil ich deine Information als meine eigene ausgab. Sie haben nie erfahren, dass du mich geschickt hattest …« Daz’ Stimme wurde zu einem entsetzten, erstickten Flüstern. »Sie haben überhaupt nie was von dir gewusst.«
Brendan rieb sich die verletzte Hand an seinem Schenkel, um die verspannten Muskeln aufzulockern, und stellte sich Daz’ Begegnung mit den Amhas-draoi vor. Den Kreis strenger, wütender Gesichter. Die gezogenen Schwerter. Die Drohungen. Daz’ Reaktion war vollkommen verständlich. Wahrscheinlich hätte er selbst nicht anders gehandelt, wenn er in einem solchen Epizentrum kriegerischer Magie gestanden hätte.
Tief in seinem Bauch erwachte ein Lachen, arbeitete sich durch seine Brust hinauf und lockerte die verkrampften Schultermuskeln und den steifen Nacken und nahm den Schmerz aus seinen Schläfen.
Brendan brüllte vor Lachen über die Ironie des Ganzen.
Verübelte er es Daz? Nein. Der Moment dafür war längst verstrichen, falls es ihn überhaupt jemals gegeben hatte. Denn eigentlich lag die Schuld für all das doch bei ihm. Wäre er selbst zu den Amhas-draoi gegangen, statt Daz als Boten hinzuschicken … Aber er hatte immer noch gehofft, die zu erwartende Katastrophe verhindern zu können. Er hatte sich noch immer eingebildet, vernünftig mit seinem Vater reden
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