Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
Zyklen von Mond und Sonne.
Jonathan legte Seneca nur das Halfter an. Er hielt sich nicht mit dem Sattel auf, sondern schwang sich auf den bloßen Rücken. Das große Pferd war zu lange in der Stadt gewesen, das spürte Jonathan daran, wie das Tier eifrig seitwärts tänzelte, während er sich auf dem Pferderücken zurechtsetzte. Sein Hengst warf den Kopf und versuchte, dem einzelnen Zügel zu entkommen.
Sie brauchten heute Früh beide einen wilden, schnellen Ritt.
Um ihn erstreckte sich das sanft geschwungene Hügelland, das von Wegen und mäandernden Flüssen durchschnitten wurde. Er ließ seinem Hengst den langen Zügel, und sie rasten in wildem Galopp die Einfahrt hinunter. Kleine Kiesel wirbelten unter den Hufen auf, und die kalte Morgenluft strich angenehm über seine Haut.
Das hier ist das wahre Glück, dachte er, als der Hengst ohne Probleme eine niedrige Steinmauer übersprang. Er stellte sich vor, dass seine hübsche Verlobte jetzt noch im Bett lag, die Haut vom Schlaf gewärmt und zart, das Haar in seidiger Unordnung über das Kissen gebreitet, während sie schlief. Er stellte sich noch mehr vor: den Zauber ihres Lächelns, dem er sich nicht entziehen konnte, den melodiösen Klang ihres Lachens und die Art, wie ihre Augen ganz weich wurden, wenn sie ihn ansah.
Er war nicht nach England gekommen, um sich zu verlieben. Er war nicht nach England gekommen, um mehr als nur eine pflichtbewusste Bekanntschaft mit seiner Familie zu begründen. Wie ironisch es doch war, dass er eigentlich nur ungern nach England gekommen war. Allein die Liebe zu seinem Vater hatte ihn dazu gebracht und das Wissen, dass man es von ihm erwartete. Und jetzt hatte sich sein Leben von Grund auf verändert.
Alles war vollkommen anders. Er hatte sogar seine Haltung neu überdacht, denn er hatte Cecily versprochen, sie nicht zu zwingen, mit ihm nach Amerika zu gehen. Er war sich nicht sicher, ob sie diese Insel, die ihr Leben lang ihre Heimat gewesen war, je verlassen wollte. Er konnte es ihr jedenfalls nicht verdenken, wenn sie nicht fort wollte. Sein Wunsch, schnell nach Hause zurückzukehren, gründete auf demselben Prinzip wie seine Sehnsucht, das Leben fortzusetzen, das er bisher gekannt hatte.
Er fragte sich, was wohl passierte, wenn er Cecily nicht überzeugen konnte, mit ihm zu gehen? Sein Pferd nahm Geschwindigkeit auf, während er über diese Frage grübelte, und Jonathans Haar wurde ihm aus der Stirn geweht, als er sich tief über den Pferdehals duckte.
Könnte er allein nach Amerika gehen?
Er bezweifelte es.
Was für eine ernüchternde Erkenntnis …
Die Landschaft flog vorbei, und das Morgengrauen wich dem ersten Tageslicht. Schließlich lenkte er Seneca durch denselben Fluss, in dem er gestern Abend Cecily geliebt hatte. Schließlich ließ er sein Pferd zurück Richtung herzogliches Anwesen im Schritt gehen, damit er etwas abkühlen konnte.
Dann veränderte sich abrupt die Stimmung dieses wunderbaren Morgens.
Die erste Kugel traf ihn direkt in die Schulter. Der Aufprall überraschte ihn, denn das war so ziemlich das Letzte, was er an einem so friedlichen Morgen erwartet hätte. Das verräterische Bersten fiel ihm erst in dem Moment auf, als er bemerkte, dass er getroffen worden war. Dann erst setzte der Schmerz ein. Wie durch ein Wunder schaffte er es, sich auf dem Pferderücken zu halten, denn sein Hengst schnellte vom Schuss scheu gemacht vor. Doch das war nicht von langer Dauer, denn Seneca brach seitlich aus, als ein zweiter Schuss durch die Luft peitschte und Jonathan stürzte.
Zweimal getroffen, dachte Jonathan. Der Schmerz breitete sich jetzt auch an einer Stelle weiter unten wie eine langsame Welle aus. Der heftige Aufprall auf dem Boden trieb ihm die Luft aus den Lungen. Einen Moment lang lag er still da, und sein Verstand sagte ihm, dass er sich schleunigst bewegen musste. Fort von hier, er musste in Deckung gehen. Doch sein Körper reagierte darauf nicht. Schließlich sog er zittrig die Luft ein und schaffte es irgendwie, sich auf die Knie zu rollen. Überall war Blut. Sein Hemd war bereits vollständig davon getränkt. Die zweite Kugel musste ihn auch in den Oberkörper getroffen haben, doch er konnte nicht sagen, wo genau, denn sein ganzer Körper stand vor Schmerz in Flammen. Es gab ein kleines Dickicht und eine kleine Schonung zu seiner Rechten. Aber wie er dort hingelangen sollte, wusste er beim besten Willen nicht.
Übel. Das hier ist richtig übel. Er war im Krieg bereits zweimal verwundet
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