Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
gewesen. Leise sagte seine Schwester: »Ich weiß nicht, ob das Uneinigkeit ist, aber wir sehen diese Angelegenheit nun einmal nicht im selben Licht.«
Er atmete leicht aus, ehe er zu einer Antwort ansetzte. »Lily, du machst es mir wirklich nicht leicht, dir zu helfen. Ich denke vor allem an deine Zukunft. Es ist nicht nur meine Pflicht; ich wünsche mir auch, dich glücklich zu sehen. Wir kennen uns nicht besonders gut, aber wir sind nun einmal Bruder und Schwester.«
»Wir haben denselben Vater«, gab sie gereizt zurück.
»Genau das wollte ich damit sagen«, erwiderte er ruhig. Er wollte sich auf keinen Fall von ihr provozieren lassen. Sie war jung, sie war offensichtlich von dem Gedanken beseelt, ihre Zukunft sei längst vorbei, und er wollte mit ihr auf keinen Fall einen Streit vom Zaun brechen, weil sie sich von ihrem Vater herabgesetzt fühlte, der ihre Mutter immer nur an zweiter Stelle gesehen hatte. »Und jetzt sag mir, warum du dich weigerst, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren. Und zwar ohne all die Klatschweiber vorzuschieben. Sie sind es nicht wert, dass wir ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken.«
Lillian starrte ihn an. Dann umspielte ein kleines, sprödes Lächeln ihren Mund. »Es ist so einfach, Mylord, die Mechanismen der Gesellschaft von oben herab zu betrachten, wenn man, wie ich ja bereits vorhin erklärt habe, ein Mann und Erbe eines Grafentitels ist und zugleich einen Weg eingeschlagen hat, der wieder von hier fortführt. So viel Glück habe ich leider nicht. Was passiert ist, ist passiert. Es ist nicht vergessen, und ich erwarte auch nicht, dass man es vergisst.«
»Stimmt«, gab er zu und verschränkte die Stiefel. »Darum frage ich mich ja auch, um wessentwillen du deine Zukunft opferst, denn ich bin durchaus bereit, mein Leben zu verwetten, dass du niemals kompromittiert wurdest.«
Es hatte einen gewaltigen Nachteil, wenn man einen Bruder aus Amerika hatte, der absolut keinen Sinn dafür hatte, was der Anstand gebot. Schlimmer noch, wenn dieser Bruder nicht einmal versuchte, sich wie ein wahrer Gentleman zu verhalten.
Er schlich nicht um die Fragen herum, die ihn interessierten, sondern stellte sie einfach auf eine geradezu beunruhigend direkte Art.
Verflucht soll er sein.
»Was weißt du davon?«
»Nicht genug. Würde es dir etwas ausmachen, mich zu informieren?«
Lily war nicht sicher, was sie darauf antworten sollte, weshalb sie sich entschloss, ihn mit einem verachtenden, frostigen Blick zu bedenken.
Unglücklicherweise schien ihn das überhaupt nicht zu stören. Er hing entspannt im Sessel – ausgerechnet ihr Lieblingssessel – und hatte die langen Beine ausgestreckt. Das rabenschwarze Haar war nachlässig frisiert und in Unordnung geraten, Jackett und Krawatte hatte er bereits abgelegt. Das reine Weiß seines feinen Leinenhemds betonte noch die barbarisch dunkle Hautfarbe und unterstrich die imposant breiten Schultern. Sie hatte nicht übertrieben, als sie andeutete, dass die meisten Leute der besseren Gesellschaft nur ungern seinen Weg kreuzten. Sein Ruf faszinierte die Ladys und ließ die Gentlemen des ton zögern. Da sie irgendetwas sagen musste und das Schweigen langsam unangenehm wurde, erwiderte sie lediglich: »Nein.«
»Du verbirgst doch etwas.«
Das tat sie. Diese scharfsinnige Beobachtungsgabe empfand sie als beunruhigend.
»Es steht Euch frei, eine eigene Meinung zu bilden.«
»Ich will einfach nur die Wahrheit wissen.«
War das wirklich alles , was er wollte, fragte eine selbstironische Stimme in ihrem Kopf. Nur die Wahrheit?
Statt darauf zu antworten, schaute sie in die leere Feuerstelle. Der Abend war zu warm für ein Feuer. Sie hielt sich sehr aufrecht.
»Stures Weibsbild«, murmelte Jonathan. Lauter fügte er hinzu: »Einverstanden. Wenn du dich weigerst, mir zu erklären, was in jener Nacht geschehen ist, in der du angeblich ruiniert wurdest, werde ich dieses Ereignis als bedeutungslos betrachten. Hinkünftig werden wir so tun, als wäre es nie passiert. Ab sofort wirst du mit uns zusammen zu diesen Veranstaltungen gehen, verstanden? Bälle, Dinners, Soupers, alles. Es ist lächerlich, dich so wegzuschließen. Wenn ich es richtig verstehe, hat dein angeblicher Liebhaber im Grunde nichts anderes getan, außer in der Zwischenzeit eine andere Frau zu ehelichen. Wenn ich denken würde, dass es irgendetwas bringt, würde ich um deiner Ehre willen nach Vergeltung trachten. Aber ich vermute, damit würde ich nur erreichen, dass sich alle Welt
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