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Verlockung der Nacht

Verlockung der Nacht

Titel: Verlockung der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeaniene Frost
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sich in meinem ganzen Körper ausbreitete. Als Drittes stellte ich fest, dass meine Hände und Füße an ein großes, hartes Objekt in meinem Rücken gefesselt waren. Das Vierte war das Beunruhigendste überhaupt: Ich war nass, und zwar nicht von Wasser. Der herbe Geruch von Benzin drang mir in die Nase, ohne dass ich einatmen musste.
    »Verbrenn sie. Verbrenn sie, bevor sie zu sich kommt!«, drängte eine vertraute Stimme.
    Sarah. Ich hätte sie umbringen sollen, als ich die Chance dazu hatte. Im Nachhinein wusste man eben immer alles besser.
    Ich öffnete die Augen. Kramer stand ein Stück weit entfernt inmitten einer dreieckigen, von hohen Maispflanzen umgebenen Lichtung. Etwas abseits von ihm stand Sarah, aber Lisa und Francine markierten die beiden anderen Ecken des Dreiecks. Genau wie ich waren sie geknebelt und an in den Boden gerammte Metallpfosten gekettet, von wo aus sie mich aus schreckgeweiteten Augen ansahen. Im Gegensatz zu mir hatten sie allerdings kein riesiges Silbermesser in der Brust stecken. Die Klinge schien einen steten Strom aus Säure abzugeben, der meine Nervenenden versengte und mir die Kraft raubte. Sie steckte zwar nahe meiner Brustmitte, aber nicht im Herzen. Entweder hatte Kramer es absichtlich verfehlt, weil er nicht riskieren wollte, mir einen leichten Tod zu verschaffen, oder er war kein Meister im Zielen.
    Kramer zog ein großes, ledergebundenes Buch aus den Falten seiner neuen schwarzen Kapuzenkutte. Hatte wohl genug von dem alten schlammbeschmierten Kittel, mit dem er sich in körperloser Gestalt begnügen musste. Seine Augen schienen in schadenfrohem Triumph zu leuchten, als er das Buch öffnete und laut zu lesen begann.
    »Ich, Henricus Kramer Institoris, Richter in Glaubensfragen, verkünde hiermit, dass ihr als reulose Ketzerinnen der Gerechtigkeit anheimgestellt werdet«, skandierte er auf Englisch, damit wir ihn auch bestimmt verstanden, obwohl der Hexenhammer ursprünglich auf Lateinisch verfasst war.
    Ich war nicht geknebelt, vermutlich weil Kramer wusste, dass ich nicht versuchen würde, um Hilfe zu schreien, was allerdings nicht bedeutete, dass ich den Mund hielt.
    »Ich hab’s doch gelesen. Dein Stil ist langweilig und voller Wiederholungen und die ständige Großschreibung zur Betonung bestenfalls kindisch. Ach, Scheiße, ich sag’s, wie’s ist: Es ist komplett beschissen. Kein Wunder, dass du falsche Referenzen angeben musstest.«
    Er funkelte mich entrüstet an, knallte das Buch zu und kam auf mich zumarschiert. Schriftsteller sind ja so sensibel, wenn man ihre Werke kritisiert.
    »Willst du jetzt gleich sterben, Hexe ?«, zischte er mich an. Dann bückte er sich und hob außerhalb meines Gesichtsfeldes etwas auf. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er eine Sturmlaterne in der Hand, deren gold-orangefarbene Flamme über das Glas strich, als wollte sie freigelassen werden.
    Über seine Schulter hinweg sah ich Sarah, die vor Erregung über die Aussicht, mich brennen zu sehen, geradezu bebte.
    »Sie weiß nicht, wie du normalerweise vorgehst, ich aber schon«, sagte ich sanft. »Also stell die Laterne weg. Du wirst mich noch nicht verbrennen, und das wissen wir beide.«
    »Was sagt sie da?«, wollte Sarah wissen, als sie herbeigehumpelt kam.
    Kramer zog die weißen Augenbrauen zusammen, und ich gestattete mir ein leises Lächeln. »Schrecklich herrschsüchtiges Frauenzimmer, nicht wahr? Ist aber auch irgendwie passend. Sie hat die Hosen an, du den Rock.«
    Seine Faust schnellte vor, traf aber nicht mich, sondern Sarah, als sie sich gerade auf Kramer abstützen wollte. Mit blutender Nase stürzte sie. Sie hatte ihr Schuldigkeit getan, sodass Kramer sich ihr gegenüber nicht mehr verstellen musste.
    »Was sollte das?«, keuchte sie.
    Schmerz und Verwirrung standen ihr ins Gesicht geschrieben, und da fiel mir auf, dass ich ihre Gedanken nicht lesen konnte. Genauso wenig wie die von Lisa und Francine. Im Geist schrien sie bestimmt panisch, aber ich hörte nur das Klopfen ihrer Herzen und hektisches Keuchen durch die Knebel hindurch.
    Die Silberkugel, die Kramer mir in den Schädel gejagt hatte, hatte mich nicht nur so lange kaltgestellt, dass er mich fesseln und mit Benzin übergießen konnte. Sie hatte auch meine telepathischen Kräfte lahmgelegt. Noch ein oder zwei Kugeln, und ich wäre draufgegangen, aber das war natürlich nicht in Kramers Sinne. Das Gute an der Sache war, dass ich mich besser konzentrieren konnte, wenn ich die panischen Gedanken der anderen nicht

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