Verlockung der Nacht
waren, dass ein Auto für mich wie das andere aussah. Jetzt konnte Kramer uns erst recht nicht mehr folgen. Bei der Geschwindigkeit, die Bones an den Tag legte, würde der Geist in ein oder zwei Minuten nicht mal mehr ausmachen können, in welche Richtung wir davongedüst waren.
Dumm war nur, dass die Frau dadurch aus ihrem tranceartigen Zustand erwachte. Sie kreischte aus vollem Halse, die Augen jedoch so fest zugekniffen, dass ich sie per Hypnose nicht zur Ruhe bringen konnte.
»Alles okay, alles okay!«, brüllte ich vergebens. Entweder konnte sie mich über das Rauschen des Windes hinweg nicht hören, oder sie war ganz und gar nicht meiner Meinung. Nach allem, was ihr zugestoßen war, konnte ich es ihr nicht verdenken. Wenn wir angekommen waren, schwor ich mir, würde ich ihr ein großes Glas einer Spirituose ihrer Wahl servieren. Ach was, besser gleich die ganze Flasche.
Aber dann würde ich ihr doch die vernichtende Wahrheit beibringen müssen: dass der Alptraum, den sie durchlebt hatte, erst vorbei sein würde, wenn wir Kramer geschnappt hatten, wozu wir sie als Lockvogel benutzen mussten.
Francine saß auf der Couch, ein Windlicht voller glimmendem Salbei in einer, eine fast leere Flasche Rotwein in der anderen Hand. Die Flasche war voll gewesen, als wir angefangen hatten, sie über Kramer, die anderen Frauen, denen es gerade wie ihr erging, und die Tatsache aufzuklären, dass Bones und ich Vampire waren. Nachdem wir Francine fliegend aus ihrer Wohnung gerettet hatten, war eh klar, dass wir keine Menschen sein konnten, sodass es keinen Sinn mehr gehabt hätte, ihr dieses Detail zu verheimlichen, während wir sie über alles andere ins Bild setzten. Spade, Denise und meine Mutter trafen etwa eine Stunde nach uns ein; damit Francine sich jedoch nicht bedrängt fühlte, waren anfangs nur Bones, ich und Tyler bei ihr. Die anderen blieben in ihren jeweiligen Reihenhäusern.
Ich wusste nicht, ob es am Alkohol oder der Tatsache lag, dass Bones und ich ihr zuvor per Hypnose eingeredet hatten, dass sie uns vertrauen konnte, aber Francine war viel gelassener, als ich es nach unseren offenen Worten erwartet hatte. Vielleicht stand sie unter Schock, sodass sie das meiste gar nicht richtig mitbekam, aber ihre Gedanken sagten etwas anderes. Ein paarmal dachte sie flüchtig: »Es gibt keine Vampire« und »Das kann nicht wahr sein«, im Großen und Ganzen jedoch schien sie das, was wir ihr sagten, als Wahrheit zu akzeptieren. Nach den drei Wochen, in denen sie von einer unsichtbaren Entität terrorisiert worden war, erschien ihr der Gedanke an die Existenz des Paranormalen wohl nicht mehr so abwegig.
»Ich wusste, dass ich nicht verrückt bin«, sagte sie, als ich zu Ende gesprochen hatte. »Keiner hat mir geglaubt, als ich erzählt habe, was passiert ist. Eine Zeitlang habe ich versucht, mir einzureden, die Leute hätten recht und ich würde mir all das wegen einer multiplen Persönlichkeitsstörung oder irgendeiner anderen Psychose selbst antun, aber ich wusste es besser.«
Francine sah auf die Weinflasche herunter und stieß ein abgehacktes Lachen aus. »Das ist der erste Alkohol, den ich trinke, seit das alles angefangen hat. Meine Freunde haben eh schon gedacht, ich wäre durchgeknallt wegen … wegen anderer Sachen halt. Ich wollte nicht, dass sie mich für eine Alkoholikerin halten.«
»Welche anderen Sachen?«, hakte Bones sofort nach.
Sie zierte sich, und ich fügte gleich hinzu: »Wir wollen nicht aufdringlich sein, aber es könnte uns helfen, die anderen Frauen zu finden, bevor es zu spät ist.«
Francine stieß einen langen Seufzer aus und fuhr sich mit der Hand durch das sonnenscheinfarbene Haar, bevor sie antwortete.
»Meine Mutter ist vor etwa einem halben Jahr gestorben. Mein Vater verstarb schon, als ich noch sehr klein war, also war sie alles, was ich hatte. Es hat mich echt mitgenommen, und das war zu viel für meinen Freund, der sich eine andere gesucht hat. Und kurz bevor er aufgetaucht ist, hat jemand bei mir eingebrochen und meine Katze umgebracht. Ehrlich, was für ein Perverser macht denn so was? Nicht mal was geklaut hat er, einfach nur die Katze umgebracht und sich aus dem Staub gemacht!«
»Wie schrecklich «, hauchte Tyler. Dabei drückte er Dexter an sich, der wie üblich auf seinem Schoß saß.
»Das tut mir alles so leid«, murmelte ich und meinte es auch ernst, obwohl mein rationales Ich bereits dabei war, das Gehörte mit meinem Wissen über Serienmörder abzugleichen.
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