Verlockung der Nacht
Vampire, aber wenigstens waren zu dieser Zeit die meisten Leute bereits in der Arbeit. Vielleicht hatte Lisa sich einen Tag freigenommen. Vielleicht musste sie erst später los.
Oder ein Geist hatte sie so geplagt, dass sie wegen ihres absonderlichen Verhaltens und der vielen Fehlzeiten gefeuert worden war wie Francine.
»Wir hätten den Kater mitnehmen sollen«, murmelte Bones, das einstöckige Haus beäugend, in dem Lisa wohnte. Lagen wir richtig, lauerte dort drinnen womöglich Kramer und wartete nur darauf, dass wir die Schwelle passierten.
»Helsing ist ein paarmal fast draufgegangen. Das Risiko gehe ich nicht ein, wir sind uns schließlich ziemlich sicher, dass Kramer ihn absichtlich angegriffen hat, und Helsing faucht sowieso nur, zwei Sekunden bevor Kramer auf mich losgeht.«
»Mich beunruhigt ja gerade, dass er drei von vier Malen dich zuerst angegriffen hat«, antwortete Bones mit nervösem Unterton in der Stimme.
»Was soll ich sagen?« Bitteres Lächeln. »Ich bin eben unwiderstehlich.«
Bones warf mir einen Blick zu, der besagte, dass mein Humor auf diesem Gebiet nicht gefragt war, und reichte mir zwei Gläser voll kokelndem Salbei. Dann nahm er sich selbst noch zwei und ließ die beiden letzten Behälter im Wagen vor sich hinglimmen. In den Manteltaschen hatten wir ebenfalls noch Salbei, dazu die allgegenwärtigen Feuerzeuge, aber diesmal warteten wir nicht mit dem Anzünden. Klar würden wir ein bisschen wunderlich auf die Person wirken, die uns die Tür aufmachte, aber das war unser geringstes Problem.
»Was Interessantes zu hören?«, murmelte ich, als wir uns der Tür näherten. Ich hatte meine mentalen Schilde so weit gesenkt, dass die vielen Stimmen mich gerade eben nicht überwältigten, war aber weniger geübt als Bones, wenn es darum ging, das Wesentliche herauszufiltern, und Lisas Wohnung lag in der Nähe eines belebten Geschäftsviertels.
Bones schloss die Augen und ließ kurz seine Macht aufflackern. »Die Person dort drinnen schläft gerade«, stellte er fest.
Das machte es einfacher. Ich sah mich um, und als ich keine neugierigen Nachbarn ausmachen konnte, marschierte ich auf das nächste Fenster zu und spähte hinein. Kein Glück, die Vorhänge waren zugezogen. Ich versuchte es beim nächsten. Das Gleiche. Bones tat es mir nach und ging ums Haus herum.
»Hier«, rief er kurze Zeit später.
Seinem Tonfall nach hatte er einen Volltreffer gelandet. In den wenigen Augenblicken, die ich brauchte, um zu ihm zu gelangen, hatte er bereits die Glasschiebetür geöffnet. Entweder hatte er sie Kraft seiner Gedanken aufbekommen oder einfach kurz in die richtige Richtung gedrückt; beides hätte ungefähr gleich lange gedauert.
Ich folgte ihm nach drinnen und presste die Lippen zusammen, als ich die Verwüstung sah, die Lisa durch die zugezogenen Vorhänge zu verbergen versucht hatte. Bones folgte den steten Herzgeräuschen bis zu Lisas Schlafzimmer, in dem Kramer ganz ähnlich gewütet hatte wie in dem von Francine, sodass wir Lisa gar nicht zu wecken und befragen brauchten, um unsere Bestätigung zu erhalten. Außerdem waren wir in Eile.
Bones stellte die Räuchergefäße ab, um der schlafenden Frau die Hand auf den Mund zu legen und den Aufschrei zu ersticken, mit dem sie schlagartig erwachte. Ich bekam Gewissensbisse, als ihr rasender Puls und das Entsetzen in ihrem Kopf zu mir durchdrangen, aber als Bones ihr erklärt hatte, dass wir sie in Sicherheit bringen und ihr nichts tun würden, schlug ihr Herz schon wieder fast normal, und sie glaubte alles, was Bones ihr unter Hypnose eingetrichtert hatte.
Als Bones sie hochhob und die Decke von ihrem Körper glitt, sah ich, dass das Nachthemd der Frau zerschlissen war; es zeigte mehr, als es verhüllte. Bastard , schimpfte ich im Stillen, während ich mir den Mantel abstreifte.
»Nein«, sagte Bones mit leiser, aber strenger Stimme. »Sie kann meinen haben, halte du nur den Salbei.«
Mich mit ihm zu streiten hätte nur Zeit gekostet, und Kramer konnte jeden Moment auftauchen. Bones zog seinen Mantel aus und reichte ihn Lisa. Die zog ihn an, mechanisch folgsam dank seines Hypnoseblicks. Ich fand es schrecklich, dass wir sie ihres freien Willens berauben mussten, aber im Augenblick war es für sie selbst das Beste, wenn sie sofort kooperierte.
Ich reichte Bones ein paar Reservepäckchen Salbei und Feuerzeuge, die er in seinen Hosentaschen verstaute, bevor er die Räuchergefäße wieder an sich nahm.
»Direkt zum Wagen, Lisa«, wies er
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