Verlockung der Nacht
Abgesehen davon, dass beide Frauen Ende zwanzig waren, gab es keine Ähnlichkeiten zwischen Francine und Elisabeth, daran konnten wir uns also nicht orientieren. Und abgesehen von der getöteten Katze entsprach Francines Geschichte leider genau dem, was ich erwartet hatte. Sie war eine Frau ohne enge Sozialkontakte, was sie für einen Stalker wie Kramer umso anziehender machte. Es war schwieriger, jemanden zu isolieren und zu quälen, der in ein stabiles Netzwerk persönlicher Beziehungen eingebunden war.
»Glaubst du im Nachhinein, Kramer könnte deine Katze umgebracht haben?«, erkundigte sich Bones und sprach damit genau den Punkt an, der mich auch interessiert hätte.
Müde rieb sich Francine die Stirn. »Eigentlich nicht. Der Typ hat das Schloss an meiner Wohnungstür aufgebrochen, um reinzukommen. Alles, während ich in der Arbeit war, und die anderen Mieter sind tagsüber für gewöhnlich auch außer Haus, sodass niemand etwas gesehen hat. Kramer ist nie bei mir eingebrochen. Er ist einfach … erschienen.« Dünnes Lächeln. »Und hat dann alles zerstört, bloß die Schlösser nicht.«
»Er schaltet die Vertrauten der Hexe aus«, murmelte Bones. Er verzog den Mund. »In vielen Hexenprozessen wurde der Beklagten vorgeworfen, ein Tier zum Gefährten zu haben. Und Katzen galten dabei als besonders typisch. Das könnte ein bloßer Zufall sein … oder der erste Loyalitätsbeweis, den der Komplize erbringen muss.«
Einbruch plus Tötung eines unschuldigen Tieres aus nichts als krankem Aberglauben? Doch, das klang für mich ganz nach der Aufwärmübung, die Kramer für seinen menschlichen Lehrling vorgesehen hatte. Darüber hinaus war Kramer bestimmt klar, dass Tiere seine Gegenwart spüren konnten. Als Tyler ihn das erste Mal herbeigerufen hatte, hatte er versucht, Dexter umzubringen. Das arme Ding hatte noch immer sein Gipsbeinchen, und nur durch Glück war Helsing jetzt nicht noch schlimmer dran. Indem er sich der Haustiere seiner Opfer entledigte, konnten die ihre Besitzer auch nicht mehr vorwarnen, wenn Kramer im Anmarsch war.
Sack, verfluchter!
Francine blinzelte ihre Tränen weg. »Also bin ich schuld, dass meine Katze tot ist?«
»Du bist an gar nichts schuld«, erklärte ich ihr mit Nachdruck. »Kramer ist der Täter. Er und wer auch immer das Arschloch ist, das ihm hilft.«
»Aber ihr werdet sie aufhalten, stimmt’s?«
Ich musste den Blick abwenden, denn die Hoffnung in Francines Gesicht strahlte so hell, dass ich ihr am Ende das Blaue vom Himmel versprochen hätte.
»Wir versuchen es«, sagte ich, den festen Blick aus Bones’ dunklen Augen erwidernd, »und du hast uns gerade eine neue Spur geliefert.«
24
»Da ist es«, sagte ich, meine Augen vor dem Licht der Morgensonne abschirmend.
Dank Madigans neuer Stellung als Abteilungsleiter hatte ich zwar keinen Zugang mehr zu der Datenbank des Heimatschutzes, aber eine Menge der Informationen, die uns hierher geführt hatten, war gegen Gebühr auch öffentlich zugänglich. Den Rest erfuhren wir, nachdem wir uns in die Datenbank des Sioux City Police Departments gehackt hatten. Während der vergangenen zwei Monate waren hundertsechs Einbrüche im Großraum Sioux City registriert worden. Hätten wir überall persönlich vorbeischauen wollen, wäre das auf ziemlich viele Besuche hinausgelaufen, aber nur achtunddreißig dieser Einbrüche waren von allein lebenden Frauen gemeldet worden. Grenzte man die Suche auf allein lebende Frauen zwischen achtzehn und fünfundvierzig ein, deren Haustier bei dem Einbruch verletzt oder getötet worden war, kam man auf genau eine.
Lagen wir richtig, hatten wir eine der beiden fehlenden Frauen gefunden, keine sechs Stunden nachdem Francine uns ihre Geschichte erzählt hatte. Vielleicht lieferte uns diese andere Frau Informationen, die uns zu Kramers letztem Opfer führten. Dann konnten wir den wirklich schwierigen Teil angehen: den Bau einer neuen Falle. Das Material hatten wir. Jetzt brauchten wir nur noch eine zweite Örtlichkeit mit einem natürlichen Wasserlauf, in dem wir sie errichten konnten.
All das musste diesmal allerdings geschehen, ohne dass Madigan uns aufspürte und alles verdarb. Da ich mir vorgenommen hatte, optimistisch zu sein, wollte ich mir nicht ausrechnen, wie unsere Chancen standen.
Eines sprach bereits für uns: In Lisa Velasquez’ Wohnung befand sich jemand mit einem schlagendem Herzen. Ich warf einen Blick auf die Uhr im Auto – zehn Uhr siebzehn, eine unchristliche Stunde für
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