Verlockung
brach einfach so aus mir heraus. Plötzliche rannen mir Tränen die Wangen hinab. All die Gefühle kehrten mit einem Schlag zurück und quälten mein Innerstes. Ich versank im nicht enden wollenden Schmerz, der alles in mir zerriss. Plötzlich spürte ich Arme um mich. Night war zu mir gekommen und drückte mich an seine Brust. Sacht, beinahe zärtlich, strich er mir immer wieder durchs Haar. Es tat unglaublich gut, endlich all das Leid hinauszulassen und bei demjenigen sein zu können, den ich mehr als alles andere liebte. Ich klammerte mich an sein Hemd und spürte die Nässe meiner Tränen darin. Sein verführerischer Duft umfing mich tröstend. Hinzu kam seine Wärme, die Arme, die mich hielten und dieses Gefühl, dass ich bei ihm absolut sicher war und mich wohl fühlen konnte. Ich spürte seine Wange an meinem Haar, seinen Atem auf meiner Haut und langsam ließ der Schmerz nach. Stattdessen bahnten sich Gefühle der Geborgenheit nun ihren Weg und kurz darauf jagten heiße wohlige Wellen durch mich hindurch, während ich mir der Nähe zu seinem Körper immer bewusster wurde. Ich fühlte seine Muskeln unter dem Hemd, die lockende Wärme, die mich rief, den heißen Atem auf mir… Wie sehr ich ihn doch begehrte… Meine Atmung wurde hektischer… Mein Herz hämmerte mir beinahe schmerzhaft gegen die Brust. Hoffentlich bemerkte er davon nichts. Immerhin hatte er mich nur trösten wollen und ich verlor mich in lüsternen Fantasien. Schweren Herzens machte ich mich von ihm los.
„Tut mir leid“, stammelte ich.
„Macht nichts.“
„Es war einfach alles so viel. Die Sache mit Duke, dann das mit meinem Vater… Alle verhalten sich nun so seltsam… Selbst die Lehrer sehen und gehen anders mit mir um.“
„Wegen den anderen musst du dir keine Sorgen machen. Hier gibt es einige, deren Eltern großes Ansehen genießen, aber das interessiert nach einer Weile kaum jemanden mehr.“
Ich hoffte inständig, dass er in diesem Punkt Recht behalten würde. Allerdings hatte ich da gewisse Zweifel, immerhin war ich eine Mischava. War es überhaupt möglich, dass ich jemals akzeptiert werden würde?
„Die sind aber keine solche Kuriosität“, stammelte ich zerknirscht.
„Auch daran wird bald niemand mehr denken. Spätestens, wenn du deine Kräfte hast.“
Die Zweifel standen mir wohl ins Gesicht geschrieben. „Denk einfach mal daran, wie es zu Beginn war, als herausgekommen ist, dass du eine Mischava bist. Inzwischen spricht doch kaum noch einer davon. So wird es auch wieder in ein paar Wochen sein, glaub mir.“
Ich musste lächeln. Er hatte wohl Recht. Dennoch war ich mir sicher, dass wenigstens eine Person mich weiterhin nicht akzeptieren würde.
„Du denkst an deinen Vater, oder?“, unterbrach er meine Gedanken.
Es war erstaunlich, wie sehr er in mich hineinsehen konnte…
Ich nickte. „Er schämt sich für mich. Darum hat er niemandem von meiner Mutter und mir erzählt. Das alleine wäre ja schon schlimm genug, aber er hat weder ihr noch mir anvertraut, wie sein wirklicher Name ist oder gar, dass er zu den Radrym gehört. Ich verstehe das einfach nicht. Nach all den Jahren taucht er auf und stellt mein ganzes Leben auf den Kopf.“
„Hat er dir gefehlt?“
Die Frage überraschte mich und ich musste tatsächlich kurz darüber nachdenken.
„Früher habe ich ihn vermisst, aber irgendwann war ich daran gewöhnt, dass eben kein Vater da war. Plötzlich taucht er nun aber doch wieder auf und ich habe das Gefühl, dass ihn jeder besser kennt als ich. Zudem will ich nicht, dass er sich für mich schämt.“
„Ich kann verstehen, dass dich das belastet, aber du bist nicht für ihn verantwortlich und es ist auch nicht deine Aufgabe ihn glücklich zu machen.“
Erschrocken sah ich in seine Augen. Sein Blick war sanft, aber eindringlich. Nie hätte ich mit solch einer Antwort gerechnet.
„Du musst für dich leben und das tun, was du für richtig hältst. Du bist gut so, wie du bist und falls er das nicht erkennen will, dann ist er, gerade weil er dein Vater ist, es auch nicht wert. Ich weiß, das klingt hart. Ich bin auch ohne Vater aufgewachsen und kann dich darum verstehen. Du musst dich nicht vor ihm verschließen, falls er doch auf dich zukommen will, aber versuch auch nicht für ihn zu leben oder so, wie du glaubst, dass er es erwartet.“
Ich nickte. Seine Worte machten mich nachdenklich, doch tief in meinem Inneren fühlte ich mich erleichtert und verstanden.
„Danke, das hat mir sehr geholfen“,
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