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Verlogene Schoenheit - Vom falschen Glanz und eitlen Wahn

Titel: Verlogene Schoenheit - Vom falschen Glanz und eitlen Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Mang
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Jahren von einer Schamanin um den Hals gelegt, jedes Jahr kommen mehr Ringe dazu. So wird der Kopf immer weiter von den Schultern weggedehnt; nach einigen Jahren ist die Halsmuskulatur so geschwächt und verkümmert, dass sie das Gewicht des Kopfes nicht mehr tragen könnte. Die Ringe übernehmen die Aufgabe des Halses und der Halswirbelsäule, andernfalls würden die erwachsenen Giraffen-Frauen, die bis zu zehn Kilo und 25 Windungen Messing um den Hals tragen, ersticken oder sich das Genick brechen. Für die Entstehung dieses seltsamen Schönheitsideals werden mehrere Erklärungen angeboten:
    1. Die Messingringe dienen als Schutz vor Tigerbissen.
    2. Die Giraffenfrauen sollten Sklavenjäger abschrecken.
    3. Die Padaung haben ihre Mädchen und jungen Frauen bewusst verunstaltet, um sie für den Maharadscha von Burma, der das Recht hatte, unter schönsten Töchtern des Landes seine Konkubinen auszuwählen, unattraktiv zu machen.
    Doch vermutlich hatte dieser Brauch einen religiösen Hintergrund: Die Padaung sind nordchinesischen Ursprungs; sie glauben, dass ihre Vorfahren Drachen waren, und wollen mit ihren langen Hälsen ihre Abstammung demonstrieren.
    Die zierliche Puppe »Tuk Tuk« hat eine Schwindel erregende Wespentaille, das europäische Schönheitsideal des 19. Jahrhunderts. Junge Mädchen und Frauen wurden in ein Korsett gesteckt, das erbarmungslos zusammengezogen wurde. Manchmal hatte so eine Taille einen Umfang von nur 35 Zentimetern. Bereits zwölfjährige Mädchen mussten diese Tortur ertragen. Durch die enge Taille wurde die Brust auffällig angehoben; außerdem drückte das Korsett ein eventuelles Bäuchlein weg. Es entstand ein Hohlkreuz, das Gesäß wölbte sich auffällig nach hinten. Bei der Prozedur des Schnürens wurden die inneren Organe schmerzhaft gequetscht, nicht selten brachen auch Rippen, oder ungeborene Kinder wurden erdrückt. Dokumentiert ist ein Todesfall, bei dem eine 23-jährige Frau 1859 starb. Bei der Autopsie stellte man fest, dass sich drei Rippen in die Leber gebohrt hatten und das Opfer innerlich verblutet war. Ende des 19. Jahrhunderts gab es sogar einen Reklamespruch, nach dem es junge Korsettträgerinnen gewöhnt seien, Unannehmlichkeit
und Schmerzen mit einem Lächeln zu ertragen. Sie seien also belastbarer und duldsamer als andere Menschen. Heute würde man so etwas als zynisch bezeichnen.
    Wenn wir einen Blick auf die Füße von »Tuk Tuk« werfen, trifft uns der nächste Schock: Sie sind winzig und laufen spitz zu – ein Schönheitsideal aus dem alten China. »Goldlotus« oder »Lilienfuß« nannte man diesen barbarischen Brauch, der im 10. Jahrhundert entstand: Eine Chinesin musste nicht nur kleine, sondern winzige, verkrüppelte Füße in Form einer Mondsichel haben. Eine Frau mit normal gewachsenen Füßen hatte keine Heiratschance. Das Idealmaß betrug 7,5 Zentimeter. Dafür wurden kleinen Mädchen ab zwei Jahren die vier kleinen Zehen mit langen Bändern unter die Fußsohlen gebunden, bis die zarten Knochen brachen. Nur der große Zeh blieb stehen. Dann schnürte man Zehen und Ferse so fest zusammen, dass sich der Mittelfußknochen bogenförmig nach oben wölbte oder brach. Die Mädchen wurden bei der Tortur bewusstlos; davor haben sie so laut geschrien, dass ihnen ihre Mütter Knebel in den Mund steckten. Jeden Tag wurden diese Bandagen fester geschnürt, sodass die Haut abfaulte, Zehennägel einwuchsen oder abstarben; jeden Tag wurde faules Fleisch rausgeschnitten. Die Mütter beschleunigten manchmal den Fäulnisprozess, indem sie Porzellanscherben, Erde und Würmer unter die Binden gaben. Die Deformierung dauerte etwa drei Jahre; dann waren die Füße praktisch tot, abgestorben, abgefault. Warum diese unsägliche Folter in Namen der Schönheit? In China galt eine Frau als tugendhaft, wenn sie das Haus nicht verließ. Auf ihren gebundenen, völlig verkrüppelten Füßen konnten die Frauen nur noch humpeln oder kriechen; sie waren im Wortsinn ans Haus gefesselt. Über tausend Jahre lang wurden so Millionen von Menschen verstümmelt, bis diese Tortur 1910 im sterbenden Kaiserreich der Mitte endlich verboten wurde.
    So zeigt uns die Puppe »Tuk Tuk«, wie Schönheit zum Fluch, zum Albtraum werden konnte. Zu allen Zeiten, in allen Kulturen. Ich hoffe, dass wir solche grausamen Ideale ein für alle Mal aufgegeben haben – doch sicher bin ich mir da nicht. Wenn wir uns die Vorstellungen von Schönheit im 20. Jahrhundert anschauen, so bin ich schon sehr erleichtert, dass

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