Verlogene Schoenheit - Vom falschen Glanz und eitlen Wahn
Patienten unentgeltlich zu behandeln, übernehmen würde. Große Versprechen habe ich ihm nicht gemacht; doch Schritt für Schritt konnten wir seinem Gesicht mehr Normalität geben, was nicht leicht war, weder für uns Ärzte noch für den Patienten.
Wir haben mit einer Laserbehandlung die Vernarbung der Gesichtshaut so weit wie möglich geglättet. Seine Nase wurde etwas hervorgehoben, der Mund erweitert. Und er bekam neue Augenbrauen; die alten waren weggebrannt. Nie habe ich ihn klagen gehört. Er ist ein Typ, der immer nur nach vorn schaut, voller Optimismus und Zuversicht. Das gefällt mir an ihm. Seine Befindlichkeit schilderte er einmal eindrucksvoll in einem Online-Bericht für die »Frankfurter Rundschau«:
»Bei den Treffen der Nachsorgegruppe bin ich ab und zu dabei. Zum Jahrestag der Ramstein-Katastrophe sehen wir uns wieder. Im Gegensatz zu den meisten anderen haben weder Tag noch Ort eine emotionale Bedeutung für mich. Ich habe keine Erinnerung daran.
Ich habe starke körperliche, aber keine psychischen Schäden davongetragen. Ich denke, dass der starke Familienzusammenhalt; Geschwister, Tante, Freunde, mir dabei geholfen hat. Meine Mutter und der Schönheitschirurg Professor Mang, der mich rund zehn Mal operiert hat, haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich habe es so gesehen, dass mich jede OP nach vorne bringt.
Neben meinem Informatik-Studium habe ich eine Computerfirma mit einem festen Kundenstamm. Ramstein spielt für mich keine Rolle mehr, ich habe früh damit abgeschlossen. Doch wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich eher für ein seelisches Leiden entscheiden, weil ich glaube, dass ich aufgrund meiner Persönlichkeit damit klarkäme. Auch wenn ich weiß, dass man psychische Schäden und das, was ich habe, nicht gegeneinander aufwiegen kann.«
Diese Worte sagen alles über die Charakterstärke von Marc-David Jung aus. Wir kennen uns, seit er sieben Jahre alt war. In dieser langen Zeit hat sich eine fast familiäre Freundschaft entwickelt, eine Art Vater-Sohn-Verhältnis. Ich glaube, dass er mit meiner Arbeit zufrieden ist; man könnte sicher noch einiges verbessern, aber es gibt natürlich Grenzen. Marc ist ein junger Mann, der erst am Beginn seines beruflichen Lebens steht. Doch ich habe keine Zweifel, dass er alles gut meistern wird. Bereits als 24-Jähriger hat er eine Computerfirma, die Abrechnungen von Anwaltskanzleien und Arztpraxen übernimmt. Er wird als Informatiker und im privaten Leben seinen Weg machen, weil er unverstellt und geradeaus ist. Wir Ärzte werden ihn wohl nicht mehr als einen körperlich völlig normal aussehenden Menschen wiederherstellen können; doch wir konnten erreichen, dass sein Leben selbstbestimmt und selbstverständlich geworden ist.
Michele Tomasina: Als er zu mir kam, hatte er gerade 75 Kilo verloren …
Ich weiß nicht, ob der junge Italiener, Jahrgang 1981, aus der Schweiz noch leben würde, hätte er sich nicht besonnen – mit eiserner Disziplin. Er war erst sechzehn Jahre alt und mit Diabetes erblich vorbelastet, als er sich eingestehen musste, dass es so nicht mehr weiterging: Er wog 170 Kilo bei einer Körpergröße von 1,91 Metern. Er konnte kaum mehr gehen, von Sport will ich gar nicht reden. Kurzum: Er war im jugendlichen Alter schon ein Invalide, dem Herzverfettung mit all ihren lebensgefährlichen Risiken drohte. Da entschloss sich Michele zu einer radikalen Abmagerungskur. Innerhalb von elf Monaten nahm er 75 Kilo ab. Eine unglaubliche Leistung! Danach stellte er fest, dass er jetzt wesentlich leichter war und das Laufen wieder Spaß machte, aber eine gute Figur hatte er immer noch nicht. Seine Haut hatte sich dem neuen Gewicht nicht angepasst. Nun hatte er so einen gewaltigen psychischen Kraftakt hinter sich, doch nach wie vor traute er sich nicht ins Schwimmbad oder in einen Urlaub am Strand. In seiner Not kam Michele zu mir.
Die chirurgische Aufgabe war nicht einfach: Am Bauch hatte er eine Hautschürze, die herunterhing. Ich sagte ihm, dass wir die entfernen und den Bauch straffen müssten. So was ist kein Pappenstiel. Die Operation dauerte vier Stunden, ein 54 mal 27 Zentimeter großes Stück Haut musste entfernt werden. Drei Tage blieb Michele bei uns in der Klinik, dann durfte er nach Hause. Wir sahen uns bei den Nachuntersuchungen, und irgendwann habe ich ihm noch den rundlichen Hüftspeck abgesaugt, der trotz aller Diäten und sportlichen Bemühungen nicht weichen wollte. Bei jedem Besuch merkte ich, wie Michele
Weitere Kostenlose Bücher