Verloren: House of Night 10 (German Edition)
vielleicht etwas von ihrem Schrecken nehmen, sie tsu-ka-nv-s-di-na zu nennen. Es liegt Macht darin, Dingen einen Namen zu geben, Kind.«
» Tsu-ka-nv-s-di-na. Ich werde daran denken.«
Noch immer etwas zittrig ging er mit der wundersamen alten Frau auf das kleine Holzhaus zu, das zwischen den schlafenden Lavendelfeldern stand und eine einladend große Veranda besaß. Grandma führte ihn im großen Zimmer zu einer tiefen Ledercouch und gab ihm eine handgewebte Decke, die er sich um die bloßen Schultern legte. Dann sagte sie: »Ich bitte dich, deinem Geist etwas Ruhe zu gönnen.« Das tat er, während sie leise vor sich hin sang, ein Feuer im Kamin entzündete, Wasser kochte und Tee machte und schließlich ein Sweatshirt und weiche Lederschuhe aus einem anderen Zimmer holte und ihm schenkte. Als der Raum warm und das Lied zu Ende war, winkte sie ihn zu sich an einen kleinen Holztisch und bot ihm von dem Essen an, das auf einem violetten Teller lag.
Aurox trank von dem mit Honig gesüßten Tee und aß von dem Teller. »D-danke, Grandma«, sagte er stockend. »Das schmeckt gut – das Essen und das Trinken. Alles hier ist so gut.«
»Der Tee besteht aus Kamille und Ysop. Er wirkt beruhigend und fördert die Konzentration. Die Kekse habe ich nach einem eigenen Rezept gebacken – mit Schokoladenchips und einem Hauch Lavendel. Ich finde schon lange, dass Schokolade und Lavendel gut für die Seele sind.« Grandma lächelte und biss in einen Keks, und sie aßen schweigend weiter.
Aurox hatte noch nie eine solche Ruhe empfunden. Auch wenn ihm klar war, dass dem nicht so sein konnte, hatte er irgendwie das Gefühl, hierherzugehören, zu dieser Frau. Und dieses seltsame, aber wunderbare Zugehörigkeitsgefühl führte dazu, dass er ihr sagen konnte, was ihm auf dem Herzen lag.
»Neferet hat mich heute Nacht hierhergeschickt. Ich sollte das Ritual unterbrechen.«
Grandma nickte. Sie wirkte nicht überrascht, nur nachdenklich. »Sie hätte es gern verhindert, als Mörderin meiner Tochter entlarvt zu werden.«
Aurox musterte sie. »Eure Tochter wurde getötet. Heute Nacht habt Ihr die Erinnerung daran mit angesehen, dennoch seid Ihr heute Morgen so freudig und heiter. Wo findet Ihr diesen Frieden?«
»In mir. Und in dem Glauben, dass hier mehr am Werk ist, als wir sehen oder beweisen können. Beispielsweise sollte ich dich zumindest fürchten. Manche würden sagen, ich sollte dich hassen.«
»Das würden viele sagen.«
»Aber ich hasse dich weder, noch fürchte ich dich.«
»Ihr – Ihr habt mich getröstet. Ihr habt mich in Euer Haus eingeladen. Warum, Grandma?«
»Weil ich an die Macht der Liebe glaube. Ich glaube daran, dass man sich aus der Finsternis heraus dem Licht zuwenden kann. Dass Frohsinn über Hass triumphieren kann und Vertrauen über Skepsis.«
»Dann liegt es nicht an mir. Es liegt einfach daran, dass Ihr so gut seid.«
»Ich glaube nicht, dass es jemals einfach ist, gut zu sein. Du etwa?«
»Ich weiß nicht. Ich habe noch nie versucht, gut zu sein.« Verzweifelt fuhr er sich durch das dichte blonde Haar.
Um Grandmas Augen erschienen Lachfältchen. »Wirklich nicht? Heute Nacht wurde dir von einer mächtigen Unsterblichen befohlen, ein Ritual zu unterbrechen, und doch wurde das Ritual wunderbarerweise vollendet. Wie konnte das geschehen, Aurox?«
»Das wird mir niemand glauben.«
»Ich schon«, sagte Grandma. »Erzähl es mir, Kind.«
»Ich kam hierher, weil Neferet mir befohlen hatte, Rephaim zu töten, damit Stevie Rae den Kreis brechen und das Ritual misslingen würde, aber ich konnte es nicht. Ich konnte nicht etwas zerstören, was so von Licht erfüllt war – so gut «, sprudelte er eilig heraus, bevor Grandma die Chance hätte, ihn zu unterbrechen und ihm den Rücken zuzukehren. »Aber dann übernahm die Finsternis die Herrschaft über mich. Ich wollte mich nicht verwandeln! Ich wollte die Bestie nicht herauslassen! Aber ich konnte nichts mehr dagegen tun, und sobald sie da war, dachte sie nur noch an ihren letzten Befehl: Rephaim zu töten. Erst als die Elemente und das Licht mich überkamen, hatte ich wieder so viel Kontrolle über mich, dass ich fliehen konnte.«
»Deshalb hast du also Dragon getötet. Weil er Rephaim beschützen wollte.«
Aurox nickte und senkte beschämt den Kopf. »Ich wollte ihn nicht töten. Kein bisschen. Die Finsternis lenkte die Bestie, und die Bestie lenkte mich.«
»Aber nicht jetzt. Jetzt ist die Bestie nicht hier«, sagte Grandma leise.
Aurox sah
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