Verloren: House of Night 10 (German Edition)
ihr in die Augen. »Doch. Sie ist immer hier.« Er legte die Hand auf die Brust. »Hier drin. Auf ewig.«
Grandma bedeckte seine Hand mit der ihren. »Das mag sein, aber auch du bist da drin. Tsu-ka-nv-s-di-na , denk daran, dass du die Bestie doch so weit unter Kontrolle bekamst, dass du fliehen konntest. Vielleicht ist das ja ein Anfang. Lerne, dir selbst zu vertrauen, dann werden vielleicht auch andere dies lernen können.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr seid anders als alle anderen. Niemand wird mir glauben. Sie werden alle nur die Bestie sehen, und niemand wird sich die Mühe machen, mir zu vertrauen.«
»Zoey hat sich den Kriegern entgegengestellt. Nur ihretwegen war es dir möglich, zu fliehen.«
Überrascht blinzelte Aurox. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Sein innerer Aufruhr war so groß gewesen, dass er gar nicht erfasst hatte, was Zoeys Tat wahrhaft bedeutete. »Ja, sie hat mich beschützt«, sagte er langsam.
Grandma tätschelte ihm die Hand. »Lass ihren Glauben an dich nicht vergebens sein. Entscheide dich für das Licht, Kind.«
»Aber ich hab’s schon einmal versucht, und es hat nicht geklappt!«
»Dann gib dir noch mehr Mühe«, sagte sie streng.
Aurox öffnete den Mund, um zu protestieren, aber ein Blick in Grandmas Augen ließ ihn verstummen. Ihre Worte waren nicht nur ein Befehl gewesen – aus ihnen sprach das, woran sie glaubte.
Er senkte wieder den Kopf. Diesmal aber nicht vor Scham, sondern weil ein winziger Hoffnungsfunke in ihm aufglomm. Einen Augenblick lang überließ er sich ganz dem neuen, wundervollen Gefühl. Dann zog er sacht seine Hand unter der von Grandma weg und stand auf. Zur Antwort auf ihren fragenden Blick sagte er: »Ich muss herausfinden, wie ich beweisen kann, dass Ihr recht habt.«
»Und wie willst du das tun, Kind?«
»Ich muss mich selbst finden«, sagte er ohne Zögern.
Sie lächelte, warm und strahlend. Unerwartet erinnerte ihn das Lächeln an Zoey, und das ließ den Hoffnungsfunken wachsen, bis er sein ganzes Inneres wärmte.
»Wohin wirst du gehen?«
»Dahin, wo ich am meisten Gutes tun kann.«
»Aurox, mein Kind, solange du die Bestie unter Kontrolle hast und niemanden mehr tötest, werde ich dir immer Zuflucht gewähren.«
»Ich werde daran denken, Grandma.«
Als sie ihn zum Abschied umarmte, schloss Aurox die Augen und atmete tief den Duft von Lavendel und die mütterliche Liebe ihrer Berührung ein. Beides war noch in ihm, als er sich wieder auf den Weg zurück nach Tulsa machte.
Aurox
Der Februartag war hell und, wie der Mann im Radio sagte, so warm, dass schon fast die Zecken aus ihren Löchern kriechen . Er parkte Neferets Auto auf dem Parkplatz hinter dem geschäftigen Utica Square und ging, von seinem Instinkt geleitet, die kleine Straße namens South Yorktown Avenue entlang. Noch ehe er die dicke Steinmauer erreichte, die das House of Night umgrenzte, roch er den Rauch.
Dieses Feuer war Neferets Werk. Es stinkt nach ihrer Finsternis. Aurox wagte nicht, daran zu denken, was der Brand angerichtet haben mochte. Er konzentrierte sich einzig darauf, seinem Instinkt zu folgen, und der sagte ihm, dass er zum House of Night zurückkehren musste, um sich selbst und Erlösung zu finden. Mit klopfendem Herzen glitt er in den Schatten der Mauer und schlich sich schnell und leise an der Ostgrenze der Schule entlang, bis er zu einer alten Eiche kam, die mit solcher Gewalt entzweigebrochen war, dass ein Teil davon auf der Mauerkrone zu liegen gekommen war.
Es war ganz einfach, die unebene Mauer zu erklettern, die winterkahlen Äste des zerschmetterten Baumes zu packen und sich auf der anderen Seite der Mauer wieder zu Boden fallen zu lassen. Eine Weile kauerte Aurox im Schatten des Baumes. Wie er gehofft hatte, war das Schulgelände im hellen Sonnenlicht wie leergefegt. Vampyre und Jungvampyre hatten sich nach drinnen hinter ihre Fenster mit den dicken dunklen Vorhängen zurückgezogen. Vorsichtig ging Aurox um den geborstenen Stamm des Baumes herum und ließ den Blick über die Schulanlage schweifen.
Es waren die Stallungen, die gebrannt hatten. Das sah er sofort. Das Feuer schien sich nicht weiter ausgebreitet zu haben, doch eine Stallwand war eingebrochen. Die Öffnung war schon mit einer dicken schwarzen Plane verschlossen worden. Aurox schmiegte sich dichter an den Baum, kletterte über die Bruchstücke des Stammes und die wirre Masse der Äste und Zweige und fragte sich, warum die Trümmer noch nicht von dem ansonsten
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