Verloren unter 100 Freunden
aufgeben würden. Wenn ich Teenager
insbesondere nach Unterbrechungen bei den Hausaufgaben frage, zum Beispiel durch Facebook-Nachrichten oder neue E-Mails, scheinen viele die Frage gar nicht zu verstehen. Sie sagen dann so etwas wie: »So ist es eben. Das ist mein Leben.« Wenn der Blackberry-Film des eigenen Lebens zum (wirklichen) Leben wird, dann gibt es ein Problem: Die Blackberry-Version ist die ungekürzte Fassung unseres Lebens. Sie enthält mehr, als einem an Lebenszeit zur Verfügung steht. Und obwohl wir nicht damit Schritt halten können, fühlen wir uns doch dafür verantwortlich. Schließlich ist es ja unser Leben. Wir streben danach, ein Ich zu sein, das mit seinen E-Mails Schritt halten kann.
Unsere vernetzten Geräte begünstigen eine neue Zeitauffassung, weil sie uns versprechen, man könne mit ihrer Hilfe mehrere Tätigkeiten übereinanderschichten. Weil man Nachrichten schreiben und gleichzeitig noch etwas anderes tun kann, scheint Nachrichten zu schreiben keine Zeit zu verbrauchen, sondern uns welche zu schenken. Das ist uns mehr als willkommen; es ist wie Zauberei. Wir haben es geschafft, diese oder jene Extra-Kleinigkeit auch noch unterzubringen, aber diejenigen unter uns, die am schnellsten leben, bringen uns dazu, Bücher mit Titeln wie Lob der Langsamkeit zu lesen. 20 Und wir haben Wege gefunden, wie wir mehr Zeit mit Freunden und Familienangehörigen verbringen können, in der wir ihnen dann aber kaum richtig unsere Aufmerksamkeit schenken.
Quer durch alle Generationen werden wir mit Reizen überflutet. Teenager beklagen sich, dass ihre Eltern nicht einmal beim Essen von ihren Handys aufschauen und diese sogar zu Schulsportfesten mitbringen. Hannah, sechzehn, ist eine ernste, stille Elftklässlerin. Sie erzählt mir, sie versuche seit Jahren die Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu bekommen, wenn diese sie von der Schule oder der Tanzstunde abholt. Hannah sagt: »Sie lässt den Wagen an, und dann fährt sie los und schaut dabei immer noch nach unten auf ihre
Nachrichten. Sie sagt nicht einmal ›Guten Tag‹.« Wir werden später noch mehr solcher Geschichten zu hören bekommen.
Eltern sagen, sie schämten sich für dieses Verhalten, finden dann aber schnell Erklärungen oder Rechtfertigungen. Sie sagen, sie seien überlasteter denn je, weil sie versuchen, mit E-Mail und SMS fertigzuwerden. Sie haben das Gefühl, immer hinterherzuhinken. Sie können nicht einmal Urlaub machen, ohne ihr Büro mitzunehmen; ihr Büro ist ja in ihrem Smartphone. 21 Sie beklagen sich darüber, dass ihre Arbeitgeber von ihnen erwarten, ständig online zu sein, aber dann geben sie zu, dass ihre Begeisterung für ihre Kommunikationsgeräte weit über alle beruflichen Erwartungen hinausgeht.
Teenager versuchen manchmal, wenn sie unter Zeitdruck stehen (etwa weil eine Hausaufgabe fällig ist) den Anforderungen der Immer-online-Kultur zu entrinnen. Manche benutzen dann den Mail-Account ihrer Eltern, damit ihre Freunde nicht merken, dass sie online sind. Aber auch Erwachsene verstecken sich. Am Wochenende werden Mobilgeräte im Büro gelassen oder in der Schreibtischschublade eingeschlossen. Wenn Arbeitgeber verlangen, dass ihre Angestellten erreichbar sind, erfinden die Leute Ausweichmanöver. Sie gehen auf Abenteuerurlaub oder betreiben Extremsport. Während ich dies schreibe, ist es immer noch möglich, lange Flugreisen ohne Handy oder Internet-Zugang zu machen. Aber selbst das ändert sich. Das W-LAN hat es inzwischen bis in den Himmel geschafft.
In einer vernetzten Welt ist zu viel möglich, und doch können wenige der Versuchung widerstehen, ihren Erfolg daran zu messen, was sie alles schaffen könnten, wenn sie immer verfügbar wären. Diane, sechsunddreißig, Kuratorin an einem großen Museum, kann nicht mit dem Tempo mithalten, das ihr die moderne Kommunikationstechnologie vorgibt.
»Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es war, als es für mich noch so etwas wie ein Wochenende gab oder ich einen Filofax hatte und darüber nachgedacht habe, wessen Namen ich in mein Adressbuch eintragen soll. Bei meinem E-Mail-Programm klicke ich auf den Namen desjenigen, der mir geschrieben hat, und, schwupp, steht er drin. Jetzt landet jeder, der mir schreibt, in meinem Adressbuch; schließlich ist jeder ein potentieller Käufer, Geldgeber oder Förderer. Was einmal ein Adressbuch war, ähnelt heute eher einer Datenbank.
Ich nehme an, ich mache meine Arbeit jetzt besser, aber dafür ist meine Arbeit auch mein ganzes
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