Verloren unter 100 Freunden
befürchten, unsere Mails könnten auch ihnen zur Last fallen.
Die Befürchtung ist berechtigt. Eine meiner Freundinnen hat auf Facebook gepostet: »Das Problem beim Abarbeiten von E-Mails ist, dass man auf seine Anworten von den Leuten auch wieder Antworten erhält! Man bekommt also für zehn beantwortete Mails fünf neue. Ich renne meinem Ziel hinterher, heute Abend dreihundert übrig zu haben, und morgen nur noch hundert.« Das entwickelt sich zu einem verbreiteten Gefühl. Und doch ist es traurig, wenn wir uns über die Mitteilungen von Freunden sagen hören, wir müssten sie »abarbeiten« oder »loswerden«, so als sprächen wir über Müll. Aber das ist unsere übliche Ausdrucksweise.
Eine E-Mail oder SMS scheint gewissermaßen von vornherein auf dem Weg in den Müll zu sein. Heutzutage, wo eine unablässige Flut von Nachrichten zum Lebensstil wird, reden wir womöglich weniger miteinander, weil wir den Eindruck haben, dass das, was wir sagen, beinahe schon ein Wegwerfartikel ist. Sicher können solche Nachrichten, die naturgemäß im Telegrammstil abgefasst werden, auch emotional, tiefsinnig und sexy sein. Sie können unsere Stimmung heben. Sie können bewirken, dass wir uns verstanden, begehrt und bestätigt fühlen. Aber sie eignen sich nicht dafür, ein Problem von Grund auf zu verstehen oder eine schwierige Situation zu erklären. Sie sind nur ein Impuls. Ein Augenblick.
Das Es-Selbst: beängstigende Spiegelungen
Wenn ich von einem neuen Zustand des Selbst, dem Es-Selbst, spreche, dann benutze ich das Wort »es« absichtlich. Es gibt, wenn auch mit leichter Übertreibung, meine Sorge wieder, dass uns das vernetzte Leben dazu verleitet, mit denjenigen, denen wir im Internet begegnen, ungefähr so umzugehen wie mit Gegenständen – nämlich eilig und unbedacht. Das passiert ganz automatisch. Wenn
man von tausenden E-Mails, Instant Messages und anderen Nachrichten belagert wird – mehr, als man beantworten kann –, werden Anfragen depersonalisiert. In gleicher Weise behandeln wir Einzelpersonen als ein Ganzes, wenn wir twittern oder hunderten und tausenden Facebook-Freunden als Gruppe schreiben. Freunde werden zu Fans. Ein College-Student, der über die Vielzahl von Leuten nachdenkt, die er im Netz erreichen kann, sagt: »Ich fühle mich als Teil eines größeren Ganzen, des Internets. Der Welt. Es wird für mich zu etwas, von dem ich ein Teil bin. Und auch die Leute – ich höre wirklich auf, sie als Einzelpersonen zu sehen. Sie sind Teil dieser größeren Sache.«
Bei sozialen Robotern empfinden wir Objekte als Lebewesen. Online entwickeln wir Möglichkeiten des Zusammenseins, die andere Menschen in eine Art Objekt verwandeln. Ein Ich, das einen Menschen als Sache behandelt, läuft Gefahr, sich schließlich selbst als Sache anzusehen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir Roboter aufwerten, indem wir sie als »lebendig genug« für uns betrachten. Wenn wir uns hingegen im Netz gerade noch »lebendig genug« fühlen, um als »Beschleunigungsmaschinen« für E-Mails und Kurznachrichten zu fungieren, werten wir uns selbst ab. Das ist eine beängstigende Spiegelung.
In Teil eins haben wir gesehen, wie sich das neue Interesse an der Robotik in die Sehnsucht nach Gemeinschaft verwandelt, die gar keine ist. Teil zwei schlägt ebenfalls einen Bogen – einen, der in gestörter Gemeinschaft endet. Bei Internet-Beziehungen hoffen wir auf Anteilnahme, bekommen aber oft nur die Grausamkeit von Fremden zu spüren. Im Zusammenhang des vernetzten Lebens und seinen Auswirkungen auf Intimität und Einsamkeit, Identität und Privatleben werde ich die Erfahrungen vieler Erwachsener beschreiben. Bestimmte Kapitel konzentrieren sich fast ausschließlich darauf. Aber ich kehre immer wieder in die Welt der Heranwachsenden
zurück. Die Teenager von heute sind mit sozialen Robotern als Spielzeug aufgewachsen. Und sie sind vernetzt aufgewachsen und bekamen manchmal schon mit acht Jahren ihr erstes Handy geschenkt. Ihre Geschichten ergeben ein klares Bild davon, wie die Computertechnologie die Persönlichkeit prägt, denn in der Jugend dreht sich alles um die Entwicklung der Persönlichkeit. Mit den Augen dieser Jugendlichen sehen wir, wie sich eine neue Art von Empfindsamkeit entfaltet.
Heutzutage verschieben sich die kulturellen Normen rapide. Früher haben wir das Erwachsenwerden mit der Fähigkeit gleichgesetzt, selbstständig zu funktionieren. Heutzutage bringt uns das Immer-online-Syndrom dazu, wieder
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