Verloren unter 100 Freunden
Musik im Hintergrund und einem Gameboy zur Ablenkung. Algebra und Super Mario gehörten zum selben Paket. Heute klingen solche Erinnerungen fast idyllisch. Ein Kind, das seine Hausaufgaben macht, beschäftigt sich häufig gleichzeitig mit Facebook, Shopping, Musik, Online-Spielen, Textnachrichten, Videos, Anrufen und Instant Messaging. Fehlen tun hier nur die E-Mails, die von den meisten Menschen unter fünfundzwanzig als überholte Technologie betrachtet werden, oder vielleicht gerade noch bei der Anmeldung fürs College oder der Bewerbung auf einen Job erforderlich sind.
Im Laufe der Zeit wurde das Multitasking, einst als Fluch empfunden, langsam aber sicher zu einer Tugend umdefiniert. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem junge Leute geradezu bejubelt wurden für ihre Fähigkeit, viele Dinge auf einmal zu erledigen. Experten gingen so weit, das Multitasking nicht nur zu einer besonderen Fertigkeit zu erklären, sondern zu der entscheidenden Fähigkeit für erfolgreiches Arbeiten und Lernen im digitalen Zeitalter. Man machte sich sogar Sorgen, dass altmodische Lehrer, die nur eine Sache auf einmal tun konnten, die Schüler beim Lernen behindern könnten. 16 Inzwischen müssen wir uns wundern, wie leicht wir uns damals begeistern ließen. Psychologen, die sich das Multitasking näher ansahen, fanden heraus, dass es alles andere als ein Erfolgsrezept ist. Vielmehr zeigt sich, dass Multitasker bei keiner der Aufgaben, die sie erledigen, richtig gut sind. 17 Aber Multitasking fühlt sich gut an, denn der Körper schüttet dabei chemische Substanzen aus, die ein Multitasking-»Hoch« erzeugen. Dieses Hoch suggeriert den Multitaskern, sie seien besonders produktiv. Auf der Suche nach dem Hoch wollen sie sogar noch mehr tun. In den kommenden Jahren wird es eine Menge zu klären geben. Wir haben uns in das verliebt, was die Technologie uns leicht gemacht hat. Unser Körper spielte mit.
Während dieser Tage manche Pädagogen sogar versuchen, Smartphones in die Klassenzimmer zu integrieren, experimentieren andere mit medialen Fastenzeiten, um die Schüler wieder zur Sache kommen zu lassen. An meiner Universität sind die Dozenten geteilter Meinung darüber, ob sie sich überhaupt mit diesem Problem befassen sollen. Unsere Studenten, zumindest einige, sind Erwachsene. Es steht uns nicht zu, ihnen zu diktieren, wie sie sich Notizen machen, oder einzugreifen, wenn sie vom Unterrichtsstoff abschweifen. Aber wenn ich hinten in unseren W-LAN-fähigen Hörsälen stehe, sind die Studenten auf Facebook und YouTube und
kaufen ein, meistens Musik. Ich möchte, dass sich meine Studenten am Gespräch beteiligen. Ich finde, sie sollten die Vorlesungszeit nicht zu einem anderen Zweck missbrauchen. Also stellte ich das Thema zur allgemeinen Diskussion und bat darum, zum Mitschreiben fortan Notizbücher zu benutzen (diese Dinger aus Papier). Einige meiner Schüler gaben an, erleichtert zu sein. »Jetzt werde ich wenigstens nicht mehr mit Facebook-Nachrichten in Versuchung geführt«, sagte einer aus dem zweiten Studienjahr. Andere ärgerten sich und wurden fast grob. Natürlich wussten sie, dass sie schlecht von mir verlangen konnten, während der Vorlesung Musik herunterladen zu dürfen. Also behaupteten sie, es mache ihnen mehr Spaß, ihre Notizen in den Computer zu tippen. Ich zwang sie, sich handschriftliche Notizen zu machen und diese dann später in den Rechner einzugeben. Während meine Studenten sich über die doppelte Arbeit beschwerten, dachte ich insgeheim, was für eine gute Lernmethode das doch wäre. Ich blieb zunächst bei meinem Entschluss, aber im darauffolgenden Jahr beugte ich mich der allgemeinen Praxis und erlaubte den Studenten zu tun, was sie wollten. Doch mir wie anderen Kollegen fällt auf, dass die Studenten, deren Laptops während der Vorlesung aufgeklappt sind, nicht so gut sind wie die anderen. 18
Wenn die elektronischen Medien immer da sind und darauf warten, gebraucht zu werden, dann verlieren die Menschen ihren Sinn für Kommunikation. Diejenigen, die Blackberry-Smartphones benutzen, schwärmen von der Faszination, ihr Leben »vorbeiscrollen« zu sehen. Sie betrachten ihr Leben wie in einem Film. Einer sagt: »Ich sehe auf die Uhr, wenn ich wissen will, wie spät es ist; und ich sehe auf mein Blackberry, wenn ich etwas über mein Leben wissen will.« 19 Erwachsene geben zu, dass es sie bei der Arbeit ablenkt, wenn sie E-Mails oder Textnachrichten beantworten, fügen aber an, dass sie es dennoch nie
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