Verloren unter 100 Freunden
als beruhigend empfand. Er fühlte sich unsicher in der Welt der Menschen mit all ihren emotionalen Risiken und Zwischentönen. Die Aktivität und Interaktivität beim Computerprogrammieren gab Anthony – einsam, aber mit Angst vor Nähe – das Gefühl, nicht allein zu sein. 8 In Love and Sex idealisiert Levy Anthonys Lebensweise und führt an, dass einen Roboter zu lieben ein vernünftiger nächster Schritt für Menschen wie Anthony wäre. Man hatte mir ein Vorabexemplar des Buches zugesandt, und Levy hatte mich gefragt, ob ich Anthony das Werk zukommen lassen könne, in der Annahme, der junge Mann würde sich darüber freuen. Ich war mir da nicht so sicher. Ich hatte Anthony als nicht besonders glücklich darüber in Erinnerung, völlig zurückgezogen in seiner, wie er es nannte, »Maschinenwelt« zu leben. Ich hatte ihn als wehmütig empfunden, als jemanden, der die Welt der Menschen von außen betrachtet, wie ein Kind, das die Nase an ein Bonbonladenschaufenster drückt. Wenn wir uns Roboter als unsere künftigen Gefährten vorstellen, werden wir alle unsere Nase an dieses Fenster drücken.
Ich war noch tief versunken in der Ironie, dass der unglückliche Anthony als Kandidat für Intimbeziehungen mit Robotern herhalten musste, als der Scientific-American -Reporter mich anrief. Ich machte keinen Hehl aus meiner Meinung über Levys Thesen und sagte, dass allein der Umstand, dass wir über Intimbeziehungen und Eheschließungen mit Robotern sprachen, ein Beleg für den
traurigen Zustand der Menschheit sei und dass wir in Liebesdingen offenbar komplett versagten. Ich betrachte die Eheschließung mit einem Roboter nun einmal nicht als wünschenswerte Weiterentwicklung der menschlichen Beziehungen. Deshalb war ich so überrascht, als der Reporter entgegnete, ich sei nicht besser als diese bigotten Leute, die Schwulen und Lesben das Recht zur Eheschließung verwehren. Ich versuchte ihm zu erklären, dass meine Auffassung, Menschen sollten keine Roboter heiraten, nicht gleichzusetzen ist mit einer Ablehnung der Schwulenehe. Er bezichtigte mich des Gattungschauvinismus: Enthalte ich mit meiner Haltung den Robotern nicht ihr Recht auf »Echtheit« vor? Warum sei ich der Meinung, einer Beziehung mit einem Roboter fehle die Authenzität? Für mich wurde in dieser Frage die Geschichte des Computers und das Leben, das er heraufbeschwört, auf neue Weise deutlich.
An diesem Punkt sagte ich dem Reporter, dass auch ich unser Gespräch aufzeichnete. Die Ansichten des Mannes waren nun Datenmaterial für meine eigene Arbeit über unsere sich wandelnden kulturellen Erwartungen an Technologie – also Datenmaterial für das Buch, das Sie gerade lesen. Dass der Reporter Roboter und homosexuelle Männer und Frauen auf eine Stufe stellte, demonstrierte, dass für ihn die zukünftigen Intimbeziehungen mit Maschinen kein zweitrangiger Ersatz für Liebesbeziehungen zwischen Menschen waren. Mehr noch, er beharrte darauf, dass Maschinen ihre eigenen, ganz besonderen Qualitäten in eine Partnerschaft einbringen würden und dass dieser Umstand unbedingt zu würdigen sei. In seinen Augen war der Liebes-, Sex- und Heiratsroboter kein bloßer Ersatz nach dem Motto »Besser als nichts«. Im Gegenteil, er hielt den Roboter für die bessere Option. Die Maschine könnte also – aus vielerlei Gründen – die bessere Wahl sein im Vergleich zu dem, was wir gegenwärtig in der manchmal schmutzigen, oft frustrierenden und stets komplexen Welt des Menschen vorfinden.
Die Episode mit dem Scientific-American -Reporter nahm mich mit – zum Teil wohl auch, weil das Magazin ein populärwissenschaftliches Standardwerk ist, das ich schon als Kind gern las. Aber die Roboter-Begeisterung des Reporters passte in ein Muster, das ich seit fast einem Jahrzehnt beobachtete. Das Gespräch über Love and Sex erinnerte mich an eine Unterhaltung mit einer Studentin bei einer Psychologie-Tagung in New Orleans; sie hatte mich zur Seite genommen, um nach dem gegenwärtigen Forschungsstand in Sachen Robotergefährte zu fragen. Bei der Konferenz hatte ich einen Vortrag über Anthropomorphismus gehalten – darüber, dass wir dazu neigen, den Roboter als menschenähnliches Wesen zu betrachten, wenn er Dinge tut wie unseren Blick zu suchen, unsere Bewegungen zu verfolgen und freundschaftliche Gesten zu machen. Es scheinen »darwinistische Knöpfe« zu sein, die in solchen Momenten gedrückt werden und bewirken, dass Menschen dem Roboter eine Persönlichkeit
Weitere Kostenlose Bücher