Verloren unter 100 Freunden
sichere und vorhersehbare Gefährten wären. 11
Diese jungen Menschen sind aufgewachsen mit Roboterhaustieren, den Kinderzimmer-Gefährten, die Emotionen zur Schau stellten, sich teilnahmsvoll verhielten und Zuwendung forderten. 12 Wir sind psychologisch nicht nur darauf programmiert, das, was wir lieben, zu nähren, sondern auch das zu nähren, was wir lieben. Deshalb können sogar schlichte künstliche »Geschöpfe« ein inniges Gefühl der Verbundenheit hervorrufen. Viele Jugendliche glauben, dass dem Roboter-Spielzeug ihrer Kindheit voll entwickelte Maschinengefährten folgen werden. In der psychoanalytischen Tradition entsteht ein Symptom aus einem inneren Konflikt, wobei das Symptom uns davon abhält, den Konflikt zu verstehen oder aufzulösen; ein Traum ist Ausdruck eines Wunsches. 13 Soziale Roboter funktionieren gleichzeitig als Symptom und als Traum: Als Symptom versprechen sie uns, konfliktbehaftete Nähe zu vermeiden; als Traum drücken sie den Wunsch nach begrenzten Beziehungen aus, die Möglichkeit, mit jemandem zusammen und trotzdem allein zu sein. 14
Einige Leute glauben sogar, sich durch Roboter vor einem Übermaß an Technologie schützen zu können. In Japan werden Robotergefährten als Mittel dazu vermarktet, den Menschen aus dem Cyberspace herauszulocken; Roboter werden damit gewissermaßen zu Gewährsleuten für das physisch Reale. Besteht das Problem darin, dass ein Übermaß an Technologie uns zu sehr ablenkt und nervös macht, soll die Lösung also eine weitere Technologie sein, die unser Leben organisiert, uns bespaßt und entspannt. Während Roboter früher Ängste vor unkontrollierbarer Technik erweckten, stehen sie heutzutage eher für die beruhigende Vorstellung, dass die Wissenschaft für eine Welt voller Probleme die richtigen Lösungen bereithält. 15 Roboter sind der Deus ex Machina des einundzwanzigsten Jahrhunderts geworden. Auf Roboter zu hoffen ist Ausdruck eines andauernden technologischen Optimismus, des Glaubens,
dass, während alles andere schiefgeht, die Wissenschaft schon den rechten Weg für uns finden wird.
Aber dies ist kein Buch über Roboter. Vielmehr handelt es davon, wie sehr wir uns dadurch verändern, dass Technologien uns einen Ersatz für die reale Kontaktaufnahme mit anderen Menschen bieten. Man offeriert uns Roboter und eine Vielzahl maschinell vermittelter Beziehungen durch vernetzte Geräte. Während wir Kurznachrichten, E-Mails und Tweets schreiben, verschieben die neuen Technologien die Trennlinie zwischen Intimität und Einsamkeit. Wir reden davon, unsere E-Mails »loszuwerden«, als handele es sich dabei um Übergepäck. Teenager vermeiden Telefonate, weil sie fürchten, dabei »zu viel preiszugeben«. Sie schreiben lieber SMS, als miteinander zu reden. Auch Erwachsene benutzen lieber die Tastatur als die eigene Stimme. Sie sagen, das sei effizienter. Dinge, die in »Echtzeit« geschehen, kosten zu viel Zeit. Gebunden an Technologie, zeigen wir uns betroffen, wenn die nicht-vernetzte Welt an Bedeutung verliert, nicht mehr zufriedenstellt. Wenn wir einen Abend lang in einem Online-Spiel als Avatar mit einem anderen Avatar reden, fühlen wir uns in einem Moment so, als besäßen wir ein echtes Sozialleben, und im nächsten Moment fühlen wir uns plötzlich seltsam isoliert, in dürftiger Komplizenschaft mit Fremden. Wir bauen uns auf Facebook und MySpace eine Gefolgschaft auf und fragen uns, wie sehr wir diese Menschen tatsächlich als Freunde betrachten können. Wir legen uns neue Online-Identitäten und neue Körper, Häuser, Berufe und Liebesbeziehungen zu. Und doch können wir uns, im Schummerlicht der virtuellen Gemeinde, plötzlich ganz allein fühlen. Während wir im Netz umhereilen, besteht die Gefahr, dass wir uns verlieren. Oftmals haben Menschen, die sich im Netz gerade stundenlang mit anderen Menschen ausgetauscht haben, überhaupt nicht das Gefühl, kommuniziert zu haben. Oder sie berichten von einem Gefühl der Nähe, obwohl sie nur
mit halber Aufmerksamkeit bei der Sache sind. Bei alledem stellt sich eine bohrende Frage: Schmälert die virtuelle Nähe unser Erleben von Begegnungen in der realen Welt?
Das Verschwimmen von Nähe und Einsamkeit findet seinen stärksten Ausdruck vermutlich dann, wenn ein Roboter als Beziehungspartner ins Spiel kommt. Aber für die meisten Menschen beginnt es, wenn man in einem sozialen Netzwerk sein Profil erstellt oder für ein Spiel oder eine virtuelle Welt eine Person oder einen Avatar erschafft. 16 Im
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