Verloren unter 100 Freunden
Maschine.
Weil mich Levys Erfindungsreichtum immer schon beeindruckt
hat, war ich alles andere als überwältigt von der Botschaft seines neuesten Buches Love and Sex with Robots . 4 Es war keine ironische Science-Fiction-Fantasie und wurde in der New York Times ebenso ironiefrei von einem Journalisten rezensiert, der gerade zwei Wochen am MIT verbracht hatte und begeistert über die dortige Roboter-Kultur schrieb, in der »neue Formen des Lebens« erschaffen würden. 5 In Love and Sex finden sich ernst gemeinte Vorhersagen über die Beziehungen zwischen Menschen und Robotern in der Mitte dieses Jahrhunderts: »Einen Roboter zu lieben wird genauso normal sein wie einen Menschen zu lieben; die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs und die Anzahl der Stellungen, die normalerweise von Menschen praktiziert werden, werden sich erhöhen, weil ein Roboter einem mehr beibringen kann als in allen auf der Welt jemals veröffentlichten Sex-Ratgebern geschrieben steht.« 6 Levy argumentiert, dass Roboter uns beibringen werden, bessere Freunde und Liebhaber zu sein, weil wir mit ihnen werden üben können. Darüber hinaus kommen sie zurecht mit Anforderungen, an denen der Mensch scheitert. Levy hebt die Vorzüge der Ehe mit einem Roboter hervor. Er argumentiert, dass Roboter natürlich »anders«, aber in vielfältiger Weise besser seien als menschliche Partner. Kein Fremdgehen. Kein Liebeskummer. In Levys Argumentation gibt es ein einziges einfaches Kriterium für die Beurteilung von Intim-Robotern: Fühlt man sich besser, wenn man mit ihm zusammenlebt? Der derzeitige Meister der sprechenden Computer beurteilt künftige Roboter nach der Wirkung ihres Verhaltens. Und seine nächste Wette ist, dass auch uns in wenigen Jahren alles andere egal sein wird.
Ich bin eine psychoanalytisch geschulte Psychologin. Sowohl aufgrund meines Wesens als auch wegen meines Berufes lege ich bei meinen Beziehungen großen Wert auf Nähe und Authentizität. Selbst wenn ein KI-Roboter tatsächlich sein eigenes Potpourri aus für mich angenehmen Sex-Stellungen entwickeln könnte, missfällt
mir die Vorstellung, mit einer Maschine intim zu werden, die kein Gefühl besitzt, keines besitzen kann, die tatsächlich nur eine clevere Sammlung aus Darbietungen darbringt; einer Maschine, die nur den Anschein erweckt, als würde ihr etwas an mir liegen, als würde sie mich verstehen. Authentizität bedeutet für mich die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen hineinversetzen zu können, etwas auf der Grundlage gemeinsamer menschlicher Erfahrungen nachfühlen zu können: Wir werden geboren, haben eine Familie, wir erleiden Verluste und kennen die Realität des Todes. 7 Ein Roboter, wie fortschrittlich er auch sein mag, fällt aus diesem Schema gänzlich heraus.
So blätterte ich also mit kühlem Blick durch Levys Buch. Was, wenn ein Roboter keine neue »Lebensform« ist, sondern eine Art Aktionskunst? Was, wenn wir uns in einer »Beziehung« zu einem Roboter nur deshalb gut oder besser fühlen, weil wir die volle Kontrolle über das Geschehen haben? Sich gut oder besser zu fühlen ist keine goldene Regel. Es kann schlechte Gründe geben, deretwegen man sich gut fühlt. Was, wenn ein Robotergefährte bewirkt, dass wir uns gut fühlen, uns dadurch aber irgendwie kleiner macht? Das Positive an Levys kühnen Prognosen ist, dass sie den Leser zum Nachdenken zwingen: Welche Art von Beziehungen mit Maschinen sind möglich, wünschenswert oder ethisch vertretbar? Was bedeutet es, einen Roboter zu lieben? Während der Lektüre von Love and Sex war meine Meinung zu diesen Dingen klar. Zu einer Liebesbeziehung gehört, Überraschungen zu erleben und den durch seine Lebensgeschichte, die Biologie, durch Traumata und Freuden geformten Partner verstehen zu lernen. Computer und Roboter verfügen über keinen Erfahrungsschatz, den sie mit uns teilen könnten. Wir schauen auf die Massenmedien und beklagen die intellektuelle Verdummung unserer Kultur. Love and Sex scheint eine emotionale Verdummung zu feiern, ein willentliches Abwenden von der Komplexität
menschlicher Partnerschaften – das Unauthentische als neue Ästhetik.
Unbehaglich war mir auch dabei, dass Levy sich bei seiner Argumentation auf meine Erkenntnisse über die Sogwirkung des Computers stützte. Tatsächlich hat Levy sein Buch Anthony gewidmet, einem MIT-Computerhacker, den ich Anfang der Achtzigerjahre interviewt habe. Anthony war neunzehn, als ich ihn traf, ein schüchterner junger Mann, der Computer
Weitere Kostenlose Bücher