Verloren unter 100 Freunden
das Gefühl, dass auch wir sie verlassen hatten.
Erlebnisse wie diese – der Gedanke, dass Lebendigkeit nicht echt sein muss, um als solche betrachtet zu werden; der Vorschlag und die Verteidigung der Ehe mit Robotern; eine junge Frau, die von einem Roboterliebhaber träumt, und dazu Miriam und ihr Paro – haben dazu geführt, dass ich die heutige Zeit gerne als die »Stunde des Roboters« bezeichne. Das bedeutet nicht, dass nun überall soziale Roboter unter uns weilen; der Ausdruck bezieht sich auf unsere
emotionale – und ich würde sagen, philosophische – Bereitschaft, uns mit Robotern einzulassen. Ich begegne ständig Menschen, die ernsthaft gewillt sind, Roboter nicht nur als Haustiere, sondern als Freunde, Vertraute und sogar als Intimpartner in Betracht zu ziehen. Es scheint uns gleichgültig zu sein, was diese künstlichen Intelligenzen über die menschlichen Momente, die wir mit ihnen erleben, »wissen« oder »begreifen«. In der Stunde des Roboters scheint schon die Herstellung einer Verbindung zu genügen; das Wesen der Verbindung wird nicht hinterfragt. Wir stehen kurz davor, uns dem Leblosen vorbehaltlos hinzugeben. Da kommt einem der Begriff »technologische Promiskuität« in den Sinn.
Wenn ich mir anhöre, was sich hinter diesem Umbruch verbirgt, höre ich bei vielen Menschen die Erschöpfung von den Schwierigkeiten des Zusammenlebens mit anderen heraus. Um unseren menschlichen Schwachstellen auszuweichen, wenden wir uns lieber dem Roboter zu. So lautet der Tenor in all meinen diesbezüglichen Befragungen: Unsere Mitmenschen stellen zu hohe Ansprüche an uns; die Anforderungen eines Roboters sind überschaubarer. Menschen enttäuschen einander; Roboter tun das nicht. Wenn Menschen über Beziehungen mit Robotern sprechen, reden sie über fremdgehende Ehemänner, über vorgetäuschte Orgasmen der Frauen und über Drogen konsumierende Kinder. Sie reden davon, wie schwer es sei, Familienangehörige und Freunde zu verstehen. Eine vierzigjährige Frau sagt: »Eigentlich weiß man ja nie so richtig, was der andere wirklich empfindet. Die Menschen verstecken sich hinter Masken. Roboter tun dies nicht.« Ein dreißigjähriger Mann konstatiert: »Ich würde mich lieber mit einem Roboter unterhalten. Meine Freunde können so ermüdend sein. Der Roboter würde immer für mich da sein. Und wenn ich fertig bin, lasse ich ihn einfach stehen.«
Die Idee vom sozialen Roboter deutet darauf hin, dass wir versuchen könnten, Nähe zu spüren, indem wir sie vermeiden. Der Glaube,
dass es, wenn wir uns voneinander entfremden oder einander enttäuschen, Roboter geben wird, die auf das Schenken simulierter Liebe programmiert sind, scheint für viele Menschen tröstlich zu sein. 9 Unsere Bevölkerung altert – es wird Roboter geben, die sich um uns kümmern. Unsere Kinder werden vernachlässigt – Roboter werden auf sie aufpassen. Wir sind zu erschöpft, um uns auch in schwierigen Zeiten um unsere Nächsten zu kümmern – Roboter werden die Kraft dazu haben. Roboter kennen keine Vorbehalte. Sie nehmen uns so, wie wir sind. Eine ältere Frau sagt über ihren Roboterhund: »Er ist besser als ein echter Hund … Er stellt keine Dummheiten an, und er hintergeht mich nicht … Außerdem wird er nicht plötzlich sterben und mich im Stich lassen und traurig machen.« 10
Senioren sind die primäre Zielgruppe, der man mit aggressivem Marketing soziale Roboter anpreist, aber auch junge Leute fühlen sich von den vermeintlichen Vorzügen dieser Maschinen angesprochen. Heutzutage drängt man Jugendlichen sexuelles Erwachsensein auf, ehe sie gelernt haben, mit der Komplexität von Beziehungen umzugehen. Sie fühlen sich angezogen von der Möglichkeit, Nähe zu erleben, ohne die Anforderungen von Intimität erfüllen zu müssen. Dies könnte sie zu einer neuen Spielart von Beziehungen verleiten – Sex ohne Verpflichtung oder ohne den anderen auch nur mögen zu müssen. Oder es könnte zu Online-Romanzen führen, die sich jederzeit per Mausklick abschalten lassen. Es ist kaum verwunderlich, dass Jugendliche Liebesgeschichten toll finden, in denen volle Intimität nicht ausgelebt werden kann – ich denke dabei an die derzeit so populären Filme und Romane über Highschool-Vampire, die aus Angst, den menschlichen Partner zu verletzen, keinen richtigen Sex mit ihm haben können. Genauso toll finden Jugendliche auch die Idee von technologisch gestützter Zweisamkeit. Völlig zwanglos reden sie über Roboter, die ihnen
Weitere Kostenlose Bücher