Verloren unter 100 Freunden
Zuwendung schenken werden. Und tatsächlich sind die beliebtesten Roboter-Designs im Bereich Pflege und Gefährte angesiedelt. Im Sommer 2010 gab es in der New York Times und im Wall Street Journal begeisterte Artikel über Roboterlehrer, Robotergefährten und Therapieroboter. Und Microsoft präsentierte einen virtuellen Menschen, Milo, der die Personen, mit denen er interagiert, erkennt und dessen »Persönlichkeit« von ihnen geformt wird. In dem Werbefilm, in dem Milo der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, spielt ein Junge mit dem Roboter in einem virtuellen Garten – am Ende des Films, als die Eltern den Jungen mit strenger Stimme zu sich rufen, wird es interessant: Der Junge flüstert Milo vertrauensvoll etwas zu, so als wäre er sein bester Freund. 2
Es stellt sich die Frage, was diese Dinge uns verheißen. Einige Menschen wünschen sich Roboter, die ihnen die Hausarbeit abnehmen. Andere hätten gern eine mechanische Braut. Während soziale Roboter sich uns als Ersatz für echte Menschen andienen, offerieren uns neue internetfähige Kleingeräte maschinengestützte Beziehungen, eine andere Option. Wir lassen uns von Robotern umgarnen und werden unzertrennlich von unseren Smartphones. Und während all dies geschieht, erschaffen wir uns und unsere Beziehungen zueinander neu, indem wir eine neue Intimität mit Maschinen eingehen. Die Leute reden über den Internet-Zugang in ihren Blackberrys als »Ort der Hoffnung«, als den Ort, an dem sich Einsamkeit
besiegen lässt. Eine Frau Ende sechzig beschreibt ihr neues iPhone: »Es ist so, als trüge ich den ganzen Times Square in der Tasche. Alles blinkt und leuchtet. All die Leute, denen ich dort begegnen könnte.« Menschen sind einsam. Das Internet ist verführerisch. Aber wenn wir ständig im Netz sind, entgehen uns die Freuden des Alleinseins.
Die Stunde des Roboters
Ende November 2005 besuchte ich mit meiner damals vierzehnjährigen Tochter Rebecca die Darwin-Ausstellung im American Museum of Natural History in New York. Von dem Moment an, da man das Museum betritt und plötzlich vor einem lebensgroßen Dinosaurier steht, wird man Teil eines Freudenfestes über das Leben auf Erden, das Darwin als »endlose Reihe immer schönerer und vollkommenerer Wesen« beschrieb. Abermillionen heute lebloser Wesen repräsentieren den Erfindungsreichtum der Natur in jedem Winkel der Erde. Es könnte keinen besseren Ort geben, um Darwins Leben und seine Evolutionstheorie der natürlichen Auslese zu dokumentieren, jener zentralen Wahrheit, die der zeitgenössischen Biologie zugrunde liegt. Diese Ausstellung wollte gefallen, und sie wollte, nachdem die Evolutionstheorie seit einiger Zeit harschen Angriffen ausgesetzt ist, auch überzeugen.
Am Eingang der Ausstellung gab es zwei riesige lebende Schildkröten von den Galápagos-Inseln – die bekanntesten Bewohner des Archipels, in dem Darwin den überwiegenden Teil seiner berühmten Forschungen durchführte. Das Museum hatte die Schildkröten als wundersame, phänomenale Kuriositäten angepriesen. Hier, inmitten all der Plastikmodelle, gab es also zwei Lebewesen, die Darwin vor mehr als einem Jahrhundert mit eigenen Augen gesehen
hatte. Eine der Schildkröten stand etwas außerhalb unseres Blickfeldes, die andere lag reglos herum. Rebecca musterte sie eine Weile und sagte dann ganz trocken: »Sie hätten ruhig einen Roboter nehmen können.« Ich war verblüfft und fragte, was sie meinte. Sie sagte, sie hielte es für eine Schande, die beiden Tiere den weiten Weg von ihrer Heimatinsel im Pazifik hierherzubringen, wenn sie doch nur reglos dalägen und nichts täten. Rebecca sorgte sich um die im Käfig gefangenen Tiere und war gleichzeitig unbeeindruckt von ihrer Authentizität.
Es war das Thanksgiving-Wochenende. Die Warteschlange war lang, es ging nicht voran. Ich begann mich mit anderen Eltern und Kindern zu unterhalten. Meine Frage – »Ist es euch wichtig, dass die Schildkröten lebendig sind?« – war eine willkommene Abwechslung während der langweiligen Warterei. Ein zehnjähriges Mädchen sagte, sie würde eine Roboterschildkröte vorziehen, denn Lebendigkeit geht mit ästhetischer Unvollkommenheit einher. »Das Wasser sieht schmutzig aus. Eklig.« Die meisten Roboter-Fürsprecher wiederholten das Argument meiner Tochter, dass Lebendigkeit an einem Ort wie diesem nicht den Aufwand lohne. Eine Zwölfjährige sagte knallhart: »Für das, was sie tun, bräuchte man keine lebenden Schildkröten.« Ihr Vater sah sie
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