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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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hat’s ja wirklich drauf und steht auf gute Musik. ‹ Das machen alle so, glaub ich. Und dann denke ich wieder, es kommt doch gar nicht drauf an, aber … die Sache ist, in der Facebook-Welt kommt es eben doch drauf an. Diese Feinheiten sind wichtig.«

    Brad befürchtet, wie viele seiner Altersgenossen, dass man ihn übersieht, wenn er bescheiden auftritt und nicht all seine Interessen und Fähigkeiten ins Feld führt. Aber er hat auch Angst, dass es angeberisch wirkt, über seine Stärken zu reden. Keiner dieser Widersprüche bei der Selbstdarstellung ist für die Zeit des Heranwachsens oder für Facebook neu. Neu ist, sie öffentlich auszuleben, jeden Fehler und falschen Schritt mit anderen Menschen zu teilen. Brad, anziehend und reif für sein Alter, fasst es mit denselben Worten zusammen, die Nancy benutzt: »Stress. Darauf läuft es für mich hinaus. Es ist bloß Angst und Druck.« Inzwischen will Brad sich nur noch persönlich mit Leuten unterhalten oder am Telefon. »Da kann ich auftreten, wie ich will, und fühle mich viel unbefangener.« Aber wer geht denn überhaupt noch ans Telefon?

10. Kapitel
Telefonieren – nein danke!
    »Es gibt so viele Leute, die es hassen zu telefonieren«, sagt Elaine, siebzehn. Bei ihren Freunden an der Roosevelt-Highschool »läuft alles nur über Kurznachrichten«. Sie selbst schreibt ihren sechs engsten Freunden rund zwanzig Nachrichten am Tag. Zusätzlich, sagt sie, »gehen ungefähr vierzig Instant Messages raus und rein, wenn ich zu Hause am Computer sitze«. Elaine hat feste Ansichten darüber, wie die elektronischen Medien »Augenhöhe schaffen« zwischen Leuten wie ihr – kontaktfreudig, in der Fußballmannschaft und in der Theatergruppe – und den Schüchternen: »Die gehen nur am Bildschirm aus sich heraus.« Sie erklärt, woran das liegt: »Wenn man vorher darüber nachdenken kann, was man sagen will, kann man auch mit jemandem reden, bei dem einem das sonst schwerfallen würde. Und es ist nicht so peinlich wie bei einem persönlichen Gespräch, wenn man zwei Minuten lang nichts sagt, weil man erst nachdenken muss.«
    Elaine geht ins Detail über die technischen Hilfsmittel, die Schüchternen dabei helfen, sich mit elektronischen Nachrichten auszudrücken. Derjenige, an den man schreibt, sollte den Bearbeitungsprozess nicht erkennen können oder wie lange man fürs Schreiben der Nachricht gebraucht hat. »Das könnte demütigend sein.« Die besten Kommunikationsprogramme schirmen den Schreiber vor dem Blick des Lesers ab. Der Vorteil an der Bildschirmkommunikation ist der, dass man dort überlegen, umschreiben und kürzen kann. »Es ist eine Möglichkeit, sich zu verstecken«, sagt Elaine.

    Die Erkenntnis, dass das Sich-Verstecken es einem leichter macht, sich zu öffnen, ist nicht neu. In der psychoanalytischen Tradition regt es den Gedankenfluss an. Die klassische Analyse schirmt den Patienten vor dem Blick des Analytikers ab, um das freie Assoziieren zu erleichtern: Der Patient soll einfach sagen können, was immer ihm in den Sinn kommt. Genauso fühlt man sich am Bildschirm geschützt und weniger von Erwartungen belastet. Und obwohl man allein ist, gibt einem die Möglichkeit zur beinahe unmittelbaren Kontaktaufnahme das gute Gefühl, bereits zusammen zu sein. In diesem seltsamen Beziehungsraum geben sich selbst erfahrene Benutzer, die wissen, dass elektronische Mitteilungen gespeichert und weitergeleitet werden und später etwa vor Gericht wieder auftauchen können, der Illusion einer Privatsphäre hin. Allein mit seinen Gedanken, aber schon mit einer fast greifbaren Vorstellung vom anderen, scheut man sich nicht, sich seinen Gedankenspielen hinzugeben. Am Bildschirm hat man die Möglichkeit, sich selbst so darzustellen, wie man gern sein möchte, und sich andere so vorzustellen, wie man sie gern hätte, sie sich auf die eigenen Bedürfnisse zuzuschneiden. 1 Das ist eine verführerische, aber gefährliche Angewohnheit. Wenn man dieses Gefühl kultiviert, kann einem ein Telefongespräch Angst machen, weil es zu viel verrät.
    Elaine hat recht mit ihrer Analyse: Teenager telefonieren nicht mehr gern. Und, was vielleicht noch mehr überrascht, Erwachsene auch nicht. Sie schützen Überlastung und Zeitmangel vor; immer erreichbar, die Zeit durch Multitasking völlig ausgefüllt, vermeiden sie die direkte sprachliche Kommunikation, die über einen kleinen Personenkreis hinausgeht, weil sie ihre ganze Aufmerksamkeit verlangt, wenn sie gerade nicht bereit

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