Verloren unter 100 Freunden
andere eines der Dinge, die Maria besonders anstrengend findet, nämlich, »sich durch die Leute hindurchzustrampeln«, als äußerst unterhaltsam. Für sie besteht der Spaß dieser Online-Welt darin, dass sie ein Ort ist, von dem »neue Freundschaften herkommen«.
Nora, siebenunddreißig, gibt Second Life das schöne Gefühl fortwährender Erneuerung: »Ich weiß nie, wem ich ›in der Welt‹ begegnen werde.« Sie stellt das dem täglichen Einerlei ihres häuslichen Lebens mit zwei kleinen Kindern gegenüber. »Zu Hause weiß ich immer, wem ich begegne. Keinem, wenn ich mit den Kindern zu Hause bleibe, und einem Haufen Kindermädchen, wenn ich mit ihnen in den Park gehe. Oder lauter gelangweilten Reiche-Leute-Muttis – ich schätze, die sind wie ich –, wenn ich mit den Kindern bei Formaggio [ein bekannter Feinkost-Lieferant] einkaufen gehe oder ins High-Rise [eine bekannte Coffee-Shop-Bäckerei] einen Happen essen.« Nora langweilt sich in ihrem Leben, aber nicht im »zweiten Leben«. Über ihre Online-Bekanntschaften sagt sie: »Da geht es immer um irgendetwas, immer um gemeinsame Interessen.« Aber das bedeutet auch, dass Nora Leute fallenlässt, deren Interessen sich ändern. Sie gibt zu, dass in ihren Second-Life-Freundschaften eine rege Fluktuation herrscht. »Ich schmeiße Leute raus … Ich schließe Freundschaften, und dann gehe ich weiter … Ich weiß, dass mir das
einen bestimmten Ruf einträgt, aber ich habe nun mal gern immer wieder neue Leute um mich.« Alexa, eine einunddreißigjährige Architekturstudentin, macht dieselben Erfahrungen. Über Second Life sagt sie: »Da ist immer jemand anders, mit dem man sich unterhalten, den man kennen lernen kann. Ich fühle mich nicht verpflichtet.«
Ein Second-Life-Avatar bietet die Möglichkeit virtueller Jugend und Schönheit und damit sexueller Kontakte und romantischer Begegnungen, die man in der physischen Realität nicht immer hat. Diese kann man dafür einsetzen, sein Selbstvertrauen bei Begegnungen im wirklichen Leben zu stärken, aber manchmal erscheint einem auch die Übungswelt perfekt. Einige Einwohner von Second Life behaupten, sie hätten unter anderem Sex, Kunst, Bildung und Anerkennung gefunden. Wir hören die bekannte Geschichte: Das Leben auf dem Bildschirm reicht von »besser als nichts« bis zu »einfach besser«. Hier ist das Ich beruhigend vielseitig. Man kann mit unterschiedlichen Menschentypen herumexperimentieren, ohne die Risiken einer echten Beziehung einzugehen. Und wenn es einem zu langweilig oder zu problematisch wird, kann man, wie Nora es nennt, »weitergehen«. Oder man schickt seinen Avatar »in den Ruhestand« und fängt von vorn an.
Versöhnt einen die Liebe zu Second Life mit seinen Enttäuschungen in der Realität? Heutzutage kann man sich, wenn man keinen guten Job findet, vorstellen, in der Virtualität erfolgreich zu sein. Man kann einer bedrückenden Wohnsituation entfliehen und seine Gäste in einem erfundenen Herrenhaus empfangen. Doch während für manche die virtuelle Welt Unzufriedenheiten ausgleichen kann, erscheint sie anderen einfach nur als Möglichkeit, der Eintönigkeit zu entfliehen. »In der Graduate School habe ich vier Jahre mit World of Warcraft [häufig WoW genannt] verbracht«, sagt Rennie, ein zweiunddreißigjähriger Volkswirtschaftler. »Ich mochte das Abenteuer,
die Rätsel, das Geheimnisvolle. Ich mochte es, mit so vielen verschiedenartigen Leuten zusammenzuarbeiten. Einmal war ich mit einer Tänzerin aus New York, einem sechzehn Jahre alten Mathe-Genie aus Arizona und einem Londoner Banker auf einem Feldzug. Ihre Ansichten waren so interessant. Die Zusammenarbeit war klasse. Es war das Beste, was ich je erlebt habe.« Inzwischen verheiratet und Vater, stiehlt Rennie sich immer noch zur World of Warcraft fort, wann immer er kann. »Das ist besser«, sagt er, »als jeder Urlaub.« Was er daran im Studium toll fand, gilt immer noch: Es ist die schnellste und sicherste Art, neue Leute kennen zu lernen und Spannung und Herausforderung zu finden. »Ein Urlaub, also, der kann gutgehen oder auch nicht. WoW klappt immer.«
Adam
Simulationsspiele faszinieren Adam, dreiundvierzig, bis an den Punkt, wo alles um ihn herum versinkt und er einfach nicht wieder auftauchen will. Seine Lieblingsspiele sind Quake und Civilisation. Das erste spielt er in einer Gruppe, das andere mit Online-»Bots«, jenen künstlichen Intelligenzen, die die Rollen von Menschen übernehmen. Adam gefällt das, was er in
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