Verloren unter 100 Freunden
Cyber-Nähe schlägt in Cyber-Einsamkeit um.
Mit der ständigen Erreichbarkeit geht die Angst einher, einmal nicht erreichbar zu sein, eine Art Panik. Selbst Randy, der sich von Nora einen Anruf gewünscht hätte, ist nie ohne sein Blackberry unterwegs. Während unseres Gesprächs hält er es fast die ganze Zeit in den Händen. Einmal steckt er es in die Tasche. Kurz darauf holt er es wieder heraus und spielt damit herum wie mit einem Talisman. Bei all meinen Gesprächen mit alten und jungen Menschen habe ich bei vielen Leuten eine echte Angst davor bemerkt, vom Netz getrennt zu sein. Manche Leute sagen, ein verlorenes Handy käme ihnen wie »ein kleiner Tod« vor. Eine Fernsehproduzentin Mitte vierzig sagte mir, ohne ihr Smartphone fühle sie sich, als habe sie »den Verstand verloren«. Egal ob wir unsere Geräte gerade benutzen oder nicht – ohne sie fühlen wir uns orientierungslos, isoliert. Obwohl es gefährlich ist, beharren wir selbst beim Autofahren darauf, SMS zu schreiben, und lehnen Gesetze ab, die diese Praxis einschränken sollen. 19
Vor zehn Jahren hätte es mich zutiefst verwirrt, dass in meiner netten, gepflegten Nachbarschaft Fünfzehnjährige mit ihren tragbaren digitalen Geräten bis zu sechstausend Nachrichten im Monat verschicken und empfangen, und dass beste Freunde davon sprechen, sich zu treffen, obwohl sie sich nur auf Facebook begegnen. 20 Womöglich hätte es als aufdringlich gegolten oder wäre sogar illegal gewesen, dass mein Handy mir im Umkreis von zehn Meilen den Aufenthaltsort meiner Bekannten verrät. 21 Heute hingegen sind diese Dinge alltäglich. In einer Medienblase zu leben erscheint
mittlerweile ganz normal. Genau wie das Ende bestimmter Verhaltensregeln: Auf der Straße sprechen wir in unsichtbare Mikrofone und scheinen mit uns selbst zu reden. Wir posaunen Intimitäten heraus, als wäre es uns egal, wo wir gerade sind und dass Fremde mithören können.
Früher habe ich den Computer als zweites Ich bezeichnet, als Spiegel unseres Selbst. Nun reicht diese Metapher nicht mehr aus. Unsere neuen Maschinen schaffen den Raum für das Erscheinen eines neuen Selbst-Zustands, das Es-Selbst, aufgeteilt zwischen dem Bildschirm und dem physisch Realen, durch Technologie ins elektronische Dasein gehievt.
Jugendliche erzählen mir, sie würden ihr Handy mit ins Bett nehmen, und selbst wenn sie es nicht bei sich trügen – zum Beispiel weil sie es gezwungenermaßen im Schulspind deponieren mussten –, würden sie spüren, wenn das Handy vibriert. Die Technologie ist inzwischen so sehr Bestandteil des Lebens dieser jungen Menschen, dass sie zu einer Art Phantom-Körperteil wurde. Die Jugendlichen von heute gehören zu den Ersten, die mit der Erwartung aufwachsen, immer verbunden zu sein, immer erreichbar, immer empfangsbereit. Und sie sind mit die Ersten, für die eine Simulation nicht automatisch zweite Wahl ist. Das alles befähigt sie zum perfekten Umgang mit der Technik, aber es ruft auch neue Verunsicherungen hervor. Die Jugendlichen führen Freundschaften in sozialen Netzwerken und fragen sich irgendwann, ob diese Freunde echt sind. Sie sind den ganzen Tag online, wissen aber nicht, ob sie wirklich kommuniziert haben. Fragen in Sachen Freundschaft verwirren sie. Kann man Freundschaft auf dem Bildschirm finden? Oder vielleicht bei einem Roboter? Ihre computergestützten Kontakte – mit Emoticon-Emotionen versehen, meist auf schnellen Antworten statt auf Reflexion basierend – bereiten sie auf Beziehungen vor, die Gehaltlosigkeit und Oberflächlichkeit auf eine neue, höhere Ebene
heben, das heißt, auf Beziehungen mit dem Leblosen. Sie lernen, geringere Erwartungen an ihre Beziehungen zu haben, bis ihnen schließlich Roboter-Freundschaften völlig ausreichend erscheinen.
Überwältigt von der Schnelligkeit und Komplexität des Lebens wenden wir uns Technologien zu, um Zeit zu sparen. Aber sie stehlen uns noch mehr Zeit, so dass wir noch stärker nach einem Rückzugsort suchen. Und allmählich beginnen wir unser Online-Leben als das eigentliche Leben zu betrachten. Wir schauen uns an, was Roboter als Beziehungspartner zu bieten haben. Die Vereinfachung von Beziehungen betrachten wir nicht mehr als Makel. Sie ist vielmehr das, was wir wollen.
Technologien formen die Landschaft unseres emotionalen Lebens um, aber möchten wir das Leben, das sie uns bieten, wirklich führen? Viele Roboter-Konstrukteure begeistern sich an der Vorstellung, dass Maschinen unsere Kinder hüten
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