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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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hat gar nicht so viel damit zu tun, dass unsere neuen Maschinen vortäuschen, sie würden mit uns kommunizieren; Roboter-Konstrukteure haben herausgefunden, welches die wenigen Auslöser sind, die uns bei der Selbsttäuschung helfen. Dazu bedarf es nicht viel. Wir sind gern bereit, dem Bann der Maschine zu erliegen.

TEIL I
Die Stunde des Roboters
    Neue Freunde in der Einsamkeit

2. Kapitel
Lebendig genug
    In den Neunzigerjahren fabulierten Kinder davon, ihre virtuellen Geschöpfe lebendiger zu machen, indem sie sie aus dem Computer herausholten. Furbys, die Sensation aus dem Weihnachtsgeschäft 1998, verkörpern diesen dokumentierten Traum. Falls ein Kind sich wünschte, dass sein Tamagotchi aus dem Plastikei herausspränge, könnte er danach durchaus wie ein pelziger eulenartiger Furby aussehen. Die beiden digitalen Haustiere haben noch andere Gemeinsamkeiten. So wie bei einem Tamagotchi hängt auch die Persönlichkeit eines Furbys davon ab, wie man ihn behandelt. Und beide präsentieren sich als Besucher aus anderen Welten. Aber Furbys haben einen expliziten Grund, warum sie zur Erde gereist sind: Sie sind hier, um mehr über die Menschen zu erfahren. Sie bitten Kinder, für sie zu sorgen und ihnen Englisch beizubringen. Furbys sind nicht undankbar: Sie sind fordernd, aber sie sagen auch: »Ich hab dich lieb.«
    Genau wie Tamagotchis bleiben Furbys immer eingeschaltet, aber anders als die Plastikeier manifestieren Furbys dies oft mit nervtötendem Geschnatter. 1 Um einen Furby verlässlich zum Schweigen zu bringen, muss man ihm mit einem Kreuzschlitz-Schraubenzieher die Batterien herausnehmen. Dabei verliert der Furby alle Erinnerungen an sein bisheriges Leben – alles, was er bis dahin gelernt hat und wie er behandelt wurde. Für Kinder, die viele Stunden damit zugebracht haben, ihre Furbys »großzuziehen«, ist dies keine erstrebenswerte Option. An einem sonnigen Frühlingsnachmittag im Jahre 1999 bringe ich acht Furbys zu einer Kinder-Spielgruppe
an einer Grundschule im westlichen Massachusetts. Fünfzehn Kinder sind im Raum, im Alter von fünf bis acht, vom Kindergarten bis zur dritten Klasse. Ich schalte ein Aufnahmegerät ein und reiche den Kindern die Furbys. Sie beginnen, aufgeregt durcheinanderzureden, begrüßen die Furbys, indem sie deren Stimmen imitieren. In der Kakophonie des Klassenzimmers hört die Stunde des Roboters sich folgendermaßen an:
    »Er ist ein Baby! Er hat ›jam‹ gesagt. Meiner ist ein Baby? Ist das ein Baby? Schläft er gerade? Er hat gerülpst! Was heißt ›be-pah‹? Er hat ›be-pah‹ gesagt. Lass sie zusammen spielen. Was bedeutet ›a li ku wah‹? Furby, sprich mit mir. Sprich! Mach schon, Junge. Guter Junge! Furby, sprich! Seid mal alle ruhig! Oh, schau, er hat einen anderen lieb! Lass die beiden miteinander spielen! Er ist müde. Er schläft. Ich werde versuchen, ihn zu füttern. Warum haben sie keine Arme? Schau doch, er hat dich lieb! Er hat dich ›Mama‹ genannt. Er hat gesagt: ›Ich dich lieb hab.‹ Ich muss ihn füttern. Meinen muss ich auch füttern. Wir haben dich lieb, Furby. Wie macht man, dass er einschläft? Seine Augen sind geschlossen. Er spricht mit geschlossenen Augen. Er redet im Schlaf. Er träumt. Er schnarcht. Ich lege ihn in den Schatten.
    Komm schon, Furby, komm schon – jetzt schlaf schon. Furby. Furby, schhh, schhh. Fass ihn nicht an. Ich kann machen, dass er still ist. Das ist ein Roboter. Ist das ein Roboter? Wer hat denn so ein Fell? Er ist allergisch gegen mich. Es ist, als wäre er lebendig. Und er hat einen Körper. Er hat einen Motor. Er ist ein Monster. Und es ist so, als wäre er echt, weil er einen Körper hat. Er war lebendig. Er ist lebendig. Er ist nicht lebendig. Er ist ein Roboter.«
    Den Kindern ist von Beginn an klar, dass Furby eine Maschine ist, die ihnen jedoch lebendig genug erscheint, um ihre Fürsorge zu
brauchen. Sie versuchen mit allem, was sie kennen, eine Verbindung mit ihm herzustellen: Frühere Albträume und Horrorfilme aus dem Fernsehen veranlassen eines der Kinder, im Furby ein »Monster« zu sehen; sein Verständnis von Einsamkeit veranlasst ein anderes Kind zu dem Ausruf »Lasst sie zusammen spielen«. Sie gebrauchen Logik und Skepsis: Haben echte Tiere »denn so ein Fell«? Haben echte Tiere Motoren? Vielleicht, aber es macht eine neue Definition erforderlich, was alles als Motor gelten kann. Die Kinder nutzen die Uneindeutigkeit des Furby als Herausforderung ihres bis dahin erlangten Wissens. Sie öffnen

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