Verloren unter 100 Freunden
und unsere alternden Eltern betreuen können. Aber sind diese Aussichten psychologisch, sozial und ethisch akzeptabel? Worin besteht hierbei unsere Verantwortung? Und finden wir es gut, dass die virtuellen Umgebungen sich nicht als Orte der Erholung, sondern als neue Welten darbieten, in denen man ein anderes Leben führt? Wir behaupten, jetzt zu haben, was wir wollen, nämlich genau das, was Technologie uns ermöglicht – aber was haben wir wirklich? 22 Es ist Zeit, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Es ist zu spät, die Zukunft den Futurologen zu überlassen.
Im Bann der Maschine: zwei Geschichten
In Verloren unter 100 Freunden erzähle ich zwei Geschichten: die gegenwärtige Geschichte der totalen Vernetzung mit ihrem Versprechen, uns mehr Kontrolle über unsere Beziehungen zu schenken,
und die künftige Geschichte über soziale Roboter, die uns Beziehungen versprechen, in denen wir die völlige Kontrolle innehaben, obwohl dies bedeutet, dass wir keine echte Beziehung mehr führen. Die künftige Geschichte erzähle ich nicht, um eine exotische Zukunft vorauszusagen. Vielmehr werfen Roboter, wie in einem sich entspinnenden Traum, ein neues Licht auf unser heutiges Leben. Unsere Bereitschaft, die Gesellschaft von Robotern in Betracht zu ziehen, sagt eine Menge über die Unzufriedenheit aus, die wir im vernetzten Dasein verspüren.
Teil eins, »Die Stunde des Roboters«, beschäftigt sich zunächst mit Roboter-Spielzeug für Kinder, dann mit den fortschrittlicheren Robotern in den Laboren und schließlich mit Maschinen, die man in der Altenpflege einsetzt. Während Roboter immer komplexer werden, nimmt die Intensität unserer Beziehungen zu ihnen zu. Ich beginne meine Geschichte mit einer Vorgeschichte, die Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre einsetzt, als das erste animierte, interaktive Computer-Spielzeug ins Leben der Kinder trat. Es war eine Zeit der Neugier auf das Wesen der neuen Maschinen. Die ersten computerisierten Objekte in den Kinderzimmern veränderten die Art, wie Kinder sich mit der Frage von Lebendigkeit auseinandersetzten. Die Entscheidung darüber, ob etwas lebendig war, hing fortan nicht mehr davon ab, wie sich etwas bewegte, sondern was es wusste: Die Physik wurde vom Geist verdrängt. Dies bereitete die Bühne für eine erneute Grundlagenveränderung Ende der Neunzigerjahre, als Kinder sozialen Robotern begegneten, die Zuwendung forderten. Im Gegensatz zu traditionellen Puppen entwickelte ein Roboter seine Funktionen nämlich nur dann, wenn man sich um ihn kümmerte, und er ließ einen wissen, ob man gute Arbeit leistete. Aber schon die primitivsten dieser Objekte – Tamagotchis und Furbys – veranlassten Kinder, ihre Bewertung von Lebendigkeit weniger von ihrem Wahrnehmungsvermögen abhängig zu
machen als vom vermeintlichen Potential gegenseitiger Zuneigung. Wenn ein Objekt um Zuwendung bittet, analysiert man es nicht, sondern begnügt sich mit der gemeinsamen Schnittstelle. Das Objekt wird »lebendig genug« für eine Beziehung.
Und hier setzt die gesteigerte Erwartungshaltung ein. Inzwischen betrachten wir – Erwachsene und Kinder gleichermaßen – Roboter nicht mehr als Maschinen, sondern als »Geschöpfe«, und die meisten Leute würden die Gänsefüßchen heute weglassen. Die Neugier weicht dem Wunsch, sich zu kümmern, für etwas da zu sein. Ab diesem Punkt geht unsere Beziehung zum Roboter in Richtung Gefährte und mehr. Werden zum Beispiel soziale Roboter an Altenheimbewohner ausgegeben, dann stets mit dem Gedanken, dass die Roboter die Probleme im Leben der alten Leute lösen. Wir bewegen uns von bloßer Neugier hin zur Suche nach Gemeinschaft. In Gesellschaft eines Roboters ist der Mensch zwar allein, aber er fühlt sich verbunden: neue Freunde in der Einsamkeit .
Teil zwei, »Vernetzt«, behandelt das Online-Leben und wie es unsere Selbstwahrnehmung verändert. Ich benenne gern die positiven Dinge, die das Internet bietet – man bleibt mit Freunden und Angehörigen leichter in Kontakt, man findet zahllose Bildungsangebote und Informationen, man kann einkaufen und spannende Spiele spielen. Das ist die Erfolgsgeschichte, die Technologen gerne erzählen und die die Leute gerne hören. Aber es ist nur eine Seite der Medaille. In virtuellen Welten und Online-Spielen verflachen Menschen zu Figuren. In sozialen Netzwerken werden Menschen auf Profile reduziert. Mittels unserer Handys reden wir ständig mit anderen, wenn wir unterwegs sind und wenig Zeit
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