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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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Laufe der Zeit kann es passieren, dass man die vorgetäuschte Identität mit dem wahren Ich verwechselt. Dies ist der Punkt, an dem Roboter und das vernetzte Leben zum ersten Mal eine Schnittmenge bilden. Denn die Darstellung von Anteilnahme ist das Einzige, wozu ein Roboter, ganz gleich wie sozial er scheint, imstande ist.
    Als sie aufkamen, war ich begeistert von den Online-Welten als »Identitäts-Werkstätten«, und die ihnen innewohnenden Möglichkeiten bieten sich noch heute. 17 Einen Avatar zu erschaffen – vielleicht mit anderem Geschlecht, anderem Alter und anderen Charaktereigenschaften  – ist eine Möglichkeit, sein eigenes Ich zu erkunden. Aber wenn man drei, vier oder fünf Stunden am Tag in einem Online-Spiel oder einer virtuellen Welt verbringt (diese Zeitspannen sind nicht ungewöhnlich), dann muss es einen Ort geben, an dem man gerade nicht ist. Und dieser Ort ist häufig die eigene Familie, oder es sind Freunde, mit denen man einfach zusammensitzt, von Angesicht zu Angesicht Scrabble spielt, spazieren geht oder sich auf ganz altmodische Weise einen Spielfilm anschaut. Ein regelmäßiges zu langes Verweilen in virtuellen Räumen kann zur Orientierungslosigkeit führen. Man hat sein Online-Leben vielleicht im Geiste der Kompensation begonnen. Wenn man einsam und isoliert war, schien das Online-Leben besser als gar nichts zu sein. Aber im Netz ist man schlank, reich und schön, und man
glaubt, mehr Möglichkeiten als im wahren Leben zu besitzen. Aus »besser als nichts« kann auf diese Weise schnell »besser als alles andere« werden. Es ist keine Überraschung, dass viele Menschen Enttäuschung verspüren, wenn sie aus der virtuellen in die reale Welt zurückkehren. Es ist auch nicht ungewöhnlich, Leute an ihren Smartphones herumfummeln zu sehen auf der Suche nach virtuellen Orten, an denen sie wieder »mehr« sein können.
    Soziale Roboter und Online-Leben suggerieren die Möglichkeit wunschgemäßer Beziehungen. Genauso wie wir Roboter so programmieren können, dass sie maßgeschneidert zu uns passen, können wir uns als attraktive Avatare neu erfinden. Wir sind imstande, auf Facebook ein wunschgemäßes Profil von uns zu erstellen. Unsere Nachrichten können wir so lange umformulieren, bis sie das Ich projizieren, das wir gerne wären. Und das alles lässt sich auch noch kurz und nett halten. Unsere neuen Medien sind bestens dafür geeignet, das Rudimentäre zu leisten. Und weil dies so ist, reduzieren wir unsere Erwartungen aneinander aufs Rudimentäre. Ein ungeduldiger Oberschüler sagt: »Wenn du mich wirklich erreichen möchtest, dann schick mir einfach eine SMS.« Er klingt wie einige meiner Kollegen, die sagen, sie würden es vorziehen, mittels »Echtzeit-Nachrichten« zu kommunizieren.
    Unsere erste Hinwendung zur sozialen Robotik (dies umfasst die Grundidee und die ersten Roboter-Modelle) ist ein Ausblick darauf, welche Technologien wir uns künftig wünschen und welchen Preis wir dafür zu zahlen bereit sind. Aus der Perspektive unserer Roboter-Träume erhält das vernetzte Leben einen neuen Darsteller. Wir malen uns unendliche Möglichkeiten aus. Aber die Einschränkungen schätzen wir genauso. Wir genießen die »schwache Verbundenheit«, die losen Bekanntschaften mit Menschen, denen wir vermutlich nie begegnen werden. Aber das heißt nicht, dass es uns damit gut geht. 18 Wir fühlen uns oft leer inmitten des ganzen Hypes.
Wenn Leute schwärmen, wie angenehm doch diese verpflichtungs-und reibungslosen Beziehungen seien, meinen sie in der Regel Beziehungen, die man vom Schreibtisch oder Sofa aus führt. Die neuen Technologien fesseln uns, obwohl sie versprechen, uns zu befreien. Konnektivitätstechnologien haben einst verheißen, uns mehr Zeit zu schenken. Aber seit Handy und Smartphone die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit auflösen, ist uns plötzlich alle Zeit der Welt nicht mehr genug. Selbst wenn wir nicht bei der Arbeit sind, erleben wir uns doch immer als »betriebsbereit«, unfähig, uns der Allgegenwart der Konnektivität zu entziehen.
    Eingeschränkte Konnektivität
    Anfangs hat man Online-Verbindungen als Ersatz für den persönlichen Kontakt betrachtet, wenn Letzterer als unpraktisch empfunden wurde: Sie haben keine Zeit zum Telefonieren? Schicken Sie eine E-Mail oder eine SMS. Aber diese wurden schnell das bevorzugte Kommunikationsmittel. Wir entdeckten, dass die Netzwerke – die Welt der Konnektivität – fantastisch geeignet sind für unser mit Arbeit und

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