Verloren unter 100 Freunden
um konkurrenzfähig zu sein, den Kontakt zu sich selbst verloren zu haben scheinen. Sie schimpfen über die Blackberry-Revolution und bezeichnen sie als
zersetzend, akzeptieren sie aber dennoch als unausweichlich. Sie sagen, früher hätten sie miteinander geredet, während sie auf ihre Präsentationen warteten oder zusammen im Taxi zum Flughafen fuhren; heute nutzen sie die Zeit, um E-Mails zu schreiben. Einige der Leute erzählen, sie würde ihre »Freizeit« nun besser nutzen, aber ihre Argumentation klingt nicht überzeugend. Die Wartezeit vor einem Vortrag oder die gemeinsame Taxifahrt zum Flughafen sind nie Freizeit gewesen. Es war die Zeit, in der weit verästelte globale Teams ihre Beziehungen intensiviert und Ideen besprochen haben.
In Firmen, in meinem Freundeskreis und innerhalb der verschiedenen akademischen Abteilungen räumten viele Leute freimütig ein, lieber eine Nachricht auf der Mailbox zu hinterlassen oder eine E-Mail zu schicken als persönlich miteinander zu sprechen. Diejenigen, die sagen: »Ich lebe mein Leben auf meinem Blackberry«, geben offen zu, dass sie die »Echtzeit-Verpflichtung« eines Telefongesprächs absichtlich vermeiden. Die neuen Technologien erlauben uns, menschliche Kontakte »herabzustufen« und ihr Wesen und ihr Ausmaß zu rationieren. Vor kurzem hörte ich in einem Restaurant ein Gespräch zwischen zwei Frauen mit an: »Bei euch geht ja keiner mehr ans Telefon«, sagte die erste Frau konsterniert. »Früher sind die Kinder losgerannt, um als Erster abzunehmen. Heute bleiben sie in ihrem Zimmer sitzen, weil sie wissen, dass sie keine Anrufe mehr bekommen, weil alles über Facebook oder sowas läuft.« Eltern von Jugendlichen wird dies nur allzu bekannt vorkommen, und vielleicht werden sie sich ein bisschen darüber wundern, wie es so schnell dazu kommen konnte. Und Teenies werden einfach sagen: »Ja, und?«
Eine Dreizehnjährige sagt, sie »hasse es zu telefonieren« und höre »nie« ihre Mailbox ab. Kurznachrichten zu schreiben bietet genau das richtige Maß an Nähe und Kontrolle. Die Dreizehnjährige hat ihre Lösung gefunden für ein typisches Schutzbedürfnis: Durch
Kurznachrichten kommt sie anderen Menschen nicht zu nahe und ist ihnen nicht zu fern, sie hält genau den richtigen Abstand. Die heutige Welt ist voll von solchen Menschen, die gerne mit vielen Leuten in Kontakt stehen, sie sich aber gleichzeitig gern vom Leib halten. Ein einundzwanzigjähriger College-Student sagt dazu: »Ich telefoniere gar nicht mehr mit meinem Handy. Mir fehlt die Geduld für das ewige Palaver. Ich schreibe SMS, bin auf Twitter und schaue mir auf Facebook die Pinnwände der Leute an.«
Randy, siebenundzwanzig, hat eine jüngere Schwester, die sich mit den richtigen Abständen zu anderen Menschen vertan hat. Randy ist Rechtsanwalt und lebt seit einiger Zeit in Kalifornien. Seine Familie lebt in New York, und er fliegt drei bis vier Mal im Jahr zu Besuch an die Ostküste. Als ich Randy treffe, hat seine vierundzwanzigjährige Schwester, Nora, gerade einer Gruppe von Freunden und Familienangehörigen via E-Mail ihre Verlobung und den Hochzeitstermin mitgeteilt. »Auf diesem Wege«, entrüstet sich Randy, »habe ich die Nachricht erhalten.« Er wisse nicht, ob er eher verärgert oder gekränkt sei. »Irgendwie finde ich es unschön, dass Nora nicht angerufen hat«, sagt er. »Ich wäre sowieso bald auf einen Besuch rübergeflogen. Hätte sie es mir da nicht persönlich sagen können? Sie ist meine Schwester, und trotzdem gab es keinen privaten Moment, in dem sie mir persönlich von ihrem Glück erzählt hat. Oder sie hätte wenigstens anrufen können. Als ich ihr von meiner Enttäuschung erzählt habe, hat sie mich irgendwie verstanden, aber trotzdem hat sie gelacht und gesagt, sie und ihr Verlobter hätten nun einmal alles einfach ganz simpel halten wollen, so einfach wie möglich. Ich fühle mich von ihr entfremdet.«
Nora wollte ihren Bruder nicht kränken. Sie hielt eine Gruppen-E-Mail für ausreichend und hat nicht weiter darüber nachgedacht. Wir haben uns schon lange der Technologie verschrieben, um effizienter arbeiten zu können. Noras Beispiel veranschaulicht, dass
wir dieselben Methoden nun auch für größere Effizienz im Privatleben benutzen. Aber wenn Nähe nur durch Technologie zustande kommt, können Beziehungen zu bloßen elektronischen Verbindungen reduziert werden. Und diese Schnellverbindungen gelten dann als – neu definierte – Nähe. Andersherum gesagt:
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