Verloren unter 100 Freunden
könnte ihr Trost spenden: »Wenn man sich in den Finger geschnitten hat und ein bisschen Mitgefühl braucht. Oder wenn man einen blöden Schultag hatte, wo sogar die beste Freundin gemein zu einem war. Es wäre schöner, nicht in eine leere Wohnung zurückzukehren.« Der zwölfjährige Kevin ist sich nicht so sicher. »Wenn Roboter keinen Schmerz spüren, wie sollen sie dann trösten können?« Aber die philosophischen Gespräche der Siebziger- und Achtzigerjahre werden abgekürzt: Die Kinder von heute versuchen herauszufinden, ob ein Roboter in ganz praktischer Weise gut für sie wäre.
Die zwanzig Kinder in Miss Grants fünfter Klasse in einer Bostoner staatlichen Schule sind neun und zehn Jahre alt. Sie alle haben Zeit mit den AIBOs und My Real Babys verbracht, die ich in ihre Schule gebracht habe. Nun beginnen wir mit der Heimstudie, bei der eine Kindergruppe nach der anderen ein Roboterbaby mit nach Hause nehmen wird. Die meisten machen sich die Haltung zu eigen, die Wilson bezüglich seines Furbys und Lester bezüglich seines AIBOs hatte: Sie sind zufrieden, mit einer Maschine zusammen zu sein, die sie wie ein lebendiges Geschöpf behandeln können. Noah bemerkt, dass das Baby sehr laut sei, wenn es seinen Gesichtsausdruck
ändert, aber er fügt schnell hinzu, dass dies unbedeutend sei. »Das Summen stört mich nicht«, sagt er. »Ich höre es gar nicht mehr.«
In der Stunde des Roboters zählt nicht mehr, woraus man besteht – Silikon, Metall, Fleisch –, sondern wie man sich verhält. In jedweder Situation zeigen Menschen und Roboter sich entweder kompetent oder eben nicht. Wie jeden Menschen muss man auch jeden einzelnen Roboter nach seinen jeweiligen Verdiensten beurteilen. Tia sagt: »Einige Roboter wären gute Betreuer, weil sie schneller und verlässlicher sind«, und dann hält sie inne. Ich bitte sie weiterzusprechen, und sie erzählt mir eine Geschichte. Sie war allein zu Hause mit ihrer hochschwangeren Mutter, bei der plötzlich die Wehen einsetzten. Sie mussten kurzfristig einen Babysitter für Tia finden. Zum Glück wohnt ihre Oma ganz in der Nähe und konnte einspringen, aber Tia fand den Vorfall trotzdem beunruhigend. »Einen Roboterbabysitter zu haben würde bedeuten, niemals in letzter Minute jemanden suchen zu müssen, der auf mich aufpasst. Der Roboter stünde immer für mich bereit.« In nur wenigen Jahren haben Kinder sich von der Versorgung von Tamagotchis und Furbys zu Fantasien hinbewegt, in denen sie selbst von freundlichen und fähigen digitalen Aufsichts»personen« betreut werden. Die Tamagotchis und Furbys waren »immer an«. Nun gilt der Roboter als »immer bereit«.
Diese Fünftklässler wissen, dass der AIBO und das My Real Baby dem Job eines Babysitters nicht gewachsen sind, aber beide wecken den Optimismus, dass die Wissenschaftler kurz davor stehen, dies zu ändern. Die Fünftklässler denken, dass ein Roboter ein Babysitter sein könnte, falls er sich wie einer verhielte . In ihren Bemerkungen darüber, wie ein Roboter diesen Test bestehen könnte, hört man von den Defiziten der Menschen, die den Babysitterjob gegenwärtig leisten: »Sie [die Roboter] wären schneller als ein Mensch,
wenn sie einen Krankenwagen rufen müssten und das Telefon schon in ihnen drinstecken würde … Sie sind praktischer, denn wenn man sich verletzt hat, werden sie nicht nervös oder geraten in Panik.« – »Sie wären sehr gut, wenn man krank ist und die Mutter arbeiten gehen muss.« – »Roboter würden immer sicherstellen, dass man seinen Spaß hat. Menschen haben genug eigene Probleme.« Statt ein bloßer Ersatzmann zu sein, wäre ein Roboter für den Babysitterjob womöglich besser qualifiziert. Die Einwände sind gleichermaßen pragmatischer Natur. Ein Fünfklässler weist darauf hin, wie oft Klimaanlagen und Müllschlucker kaputtgehen. »Der Roboter könnte auch kaputtgehen.«
In den Achtzigerjahren zogen die meisten Kinder eine Trennlinie – und markierten damit eine Art geheiligten Bezirk – zwischen den Kompetenzbereichen von Computern und dem, was am Menschen so besonders war. In Miss Grants Klasse ist der geheiligte Bereich der romantischen Reaktion weniger wichtig als das Ziel, die Aufgabe erledigt zu bekommen. Die meisten Kinder sind gewillt, Roboter und Menschen fast auf eine Stufe zu stellen und abzuwägen, wer für welche Aufgabe jeweils am besten geeignet ist. Sinngemäß ausgedrückt: Diese pragmatischen Kinder sagen, dass, falls Menschen besser darin sind,
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