Verloren unter 100 Freunden
Einsamkeit zur Seite zu stellen. Oliver, der neunjährige Besitzer des Hamsters Peanut, sagt, seine Großeltern seien gebrechlich und kämen kaum noch aus dem Haus. Er überlegt in allen Einzelheiten, ob und wie ein AIBO ihre Tage interessanter gestalten könnte. Denn auch mit Robotern gehen eigene Probleme einher. Oliver weist darauf hin, dass seine Großeltern oft verwirrt seien und dass sie den Roboter ihrerseits leicht in Verwirrung stürzen könnten. »Sie könnten ihm [dem AIBO] falsche Befehle erteilen, und dann tut der genau das Gegenteil von dem, was meine Großeltern möchten.« Seine Schwester Emma, elf, sieht nur die positive Seite eines Robotergefährten. »Meine Oma hatte einen Hund und der ist irgendwann gestorben. Vorher hat meine Oma gesagt, sie würde sterben, wenn der Hund stirbt … Ich bin mir nicht sicher, ob es gut für alte Menschen ist, Hunde zu besitzen. Ich glaube, der AIBO wäre besser für sie gewesen.« Bonnie glaubt, dass ein Roboter der ultimative Trostspender sein könnte. »Wenn man zwei Großeltern hat und einer der beiden stirbt«, sagt sie, »würde ein Roboter demjenigen helfen, der nun ganz allein ist.«
Jude, der ebenfalls in Miss Grants Klasse ist, weiß, dass seine Großmutter gerne über die Vergangenheit spricht, als sie eine junge
Mutter war und, wie sie sagt, die »glücklichste Zeit« ihres Lebens verbracht habe. Er glaubt, das Roboterbaby My Real Baby könnte sie in diese Zeit zurückversetzen. »Damit hätte sie jede Menge zu tun.« Aber es ist Jude, der als Erster eine Frage aufwirft, die die Kinder in der Folge stark beschäftigen wird. Er glaubt, seine Großeltern könnten es vorziehen , einen Roboter zu besitzen, statt ihre echten Enkelkinder zu besuchen.
Jude denkt laut nach: »Echte Babys machen viel Arbeit, und wenn sie dann keine Babys mehr sind, ist es für einen älteren Menschen schwierig, auf sie aufzupassen.« Jude sagt, zwar könnten er und andere Kinder mühelos den Unterschied zwischen Robotern und einem echten Baby erkennen, seine Großeltern indes könnten sich täuschen lassen. »Das Roboterbaby fängt an zu weinen, wenn es sich langweilt; wenn es sein Fläschchen bekommt, ist es glücklich.«
Bei der Vorstellung, dass Roboter Familienmitglieder »doubeln« könnten, fällt mir eine Geschichte ein, die ich Anfang der Neunzigerjahre bei meiner ersten Japanreise gehört habe. Die Probleme der Rentner waren in aller Munde. Im Gegensatz zu früheren Generationen waren die erwachsenen Kinder inzwischen äußerst mobil und Frauen ein fester Bestandteil der arbeitenden Bevölkerung. Ihre alten und gebrechlichen Eltern konnten nicht bei ihnen wohnen. Sie zu besuchen wurde schwierig; die Eltern lebten oft in anderen Städten. Als Reaktion auf diese Situation engagierten viele Japaner Schauspieler, die an ihrer Stelle die eigenen Eltern besuchten. 2 Einige der Senioren litten unter Demenz und bemerkten gar nicht, dass ein Fremder vor ihnen stand. Am faszinierendsten waren Berichte über Eltern, die wussten, dass sie von Schauspielern besucht wurden. Sie betrachteten deren Besuche als Respektsbekundung, genossen die Gesellschaft und spielten das Spiel mit. Als ich mich überrascht darüber zeigte, wie sehr alle Beteiligten diese Praxis
gutzuheißen schienen, erzählte man mir, in Japan ein alter Mensch zu sein bedeute, eine Rolle zu spielen, genauso wie man auch als Kind eben die Rolle des Kindes spiele. Seine alten Eltern zu besuchen gleicht in weiten Teilen dem Durchspielen eines Drehbuchs. Die Japaner schätzen die fest vereinbarten Besuche und die gut ausgebildeten, höflichen Schauspieler. Aber als ich davon hörte, dachte ich: »Wenn ihr gewillt seid, Schauspieler hinzuschicken, warum dann nicht gleich einen Roboter?«
Achtzehn Jahre später denkt ein Zimmer voller Fünftklässler ernsthaft über diesen Vorschlag nach. Die Kinder wissen, dass ihre Großeltern Vorhersehbarkeit schätzen. Wenn sie sie besuchen, versuchen sie nach Kräften, dem Ordnungswunsch der Senioren nachzukommen. Das ist nicht immer einfach: »Meine Oma möchte, dass ich mein Glas immer an einer bestimmten Stelle abstelle«, sagt Dennis. »Sie mag es nicht, wenn ich sie im Rollstuhl schneller als gewohnt durchs Krankenhaus schiebe. Es ist schwierig.« In diesem Bereich glauben Kinder, dass Roboter ihnen gegenüber im Vorteil wären. Sie beginnen sich Roboter so sehr als familienzugehörig vorzustellen, dass sie eine neue Art von Geschwisterrivalität entwickeln.
Ein Mädchen
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