Verloren unter 100 Freunden
enttäuscht, fühlt sie sich am sichersten am Zufluchtsort einer Scheinwelt. Natürlich ist Callies Geschichte längst nicht vorbei. Ihre Eltern lieben sie und werden sich womöglich mehr um sie kümmern. Vielleicht findet sie einen Lehrer, der sich ihrer annimmt. Aber Callie, die sich mit zehn Jahren dermaßen hingebungsvoll um ihre Roboter kümmert, erinnert uns daran, wie anfällig wir für Roboter sind. Sie sind mehr als nur ein harmloser Zeitvertreib: Sie besitzen Macht, weil sie uns dazu bringen, Bindungen mit ihnen einzugehen. Und derartige Bindungen verändern die Art unseres Daseins auf der Welt.
Der siebenjährige Tucker ist schwerkrank. Er fürchtet seinen Körper, er fürchtet sich vor dem Sterben, und er fürchtet sich davor, darüber zu reden. Eine Beziehung mit einem AIBO verleiht diesen Gefühlen Ausdruck. Eine spezielle Behandlung bei ihm zu Hause hilft Tucker beim Atmen, aber trotzdem verbringt er mehrere Monate im Jahr in Krankenhäusern. Nachdem er eine Weile voller Enthusiasmus mit dem AIBO gespielt hat, ist er oft zu erschöpft, um darüber zu sprechen. Seine Eltern versichern, dass er sich nur ein bisschen
ausruhen müsse, und tatsächlich ist Tucker wenig später wieder putzmunter.
Tuckers Mutter erklärt, dass Sicherheit immer seine erste Sorge sei und dass es zeitweise ziemlich enervierend sein könne, wenn er ihr als Beifahrer im Auto altkluge Ratschläge erteile. Mit seinem Lieblingscomputerspiel, Roller Coaster Tycoon, baut er statt der wildestmöglichen Achterbahn lieber die sicherste. Bei dem Spiel kann man selbst entscheiden, wofür man das Geld bei der Entwicklung eines Rummelplatzes hernimmt. Tucker verwendet das meiste Geld für die Instandhaltung und die Personalkosten. Er sagt, das Spiel erkläre ihn oft zum Gewinner des Preises für den »sichersten Rummelplatz«. Als er bei mir im Büro zum ersten Mal einem AIBO begegnet, ist Tucker in erster Linie darauf bedacht, dass dem Roboterhund nichts Schlimmes passiert. Seine Sorge ist so groß, dass er jede reale Situation umdeutet, die für den Roboterhund tatsächlich eine Gefahr darstellt. Als der AIBO einmal in einen roten Gartenzaun hineinkracht, sagt Tucker, der Roboterhund habe »an der Tür gekratzt, weil er hineinwollte … und er dort noch nie war«. Abwehrmechanismen sind unsere Reaktion auf Realitäten, die uns zu bedrohlich erscheinen, um uns ihnen zu stellen. So wie Callie ignoriert hat, dass ihr AIBO kaputt war, sieht Tucker nur das, womit er umgehen kann.
Wie Callie betrachtet auch Tucker die Emotionen des AIBO als real; er sagt, der Roboter erkenne ihn und habe ihn lieb. Er erklärt, wenn er zur Schule gehe, würde sein Hund Reb ihn vermissen, und manchmal würde er vor der Abfahrt zu ihm ins Auto springen. Er glaubt dass, wenn er den AIBO mit nach Hause nähme, der Roboterhund ähnlich reagieren würde. Tatsächlich erkennt Tucker nur wenige Unterschiede zwischen dem AIBO und Reb, und die meisten davon sind für den echten Hund wenig schmeichelhaft. Als Tucker lernt, die blinkenden Lichter des AIBO zu deuten, schlussfolgert er,
dass der Roboter und Reb »die gleichen Gefühle« haben, obwohl er findet, dass der AIBO der wütendere der beiden sei.
Tucker wäre gern stärker und projiziert diesen Wunsch auf den AIBO: Er redet von dem Roboter gerne als einem Superheld-Hund, der die Schwächen seines echten Hundes erkennen lässt. »Der AI-BO ist wahrscheinlich genauso klug wie Reb, aber anders als der echte Hund kennt er keine Angst.« Während er freudig die Vorteile des AIBO aufzählt, weicht Tucker der Frage aus, was Reb denn tun könne, wozu der AIBO nicht imstande ist. Ich fühle mich an Chelsea erinnert, die, nachdem sie befunden hatte, dass ein leicht zu handhabender Roboter vielleicht eine bessere Gesellschaft für ihre Großmutter wäre als ein quirliges junges Mädchen, nicht darüber sprechen wollte, welche Vorteile sie gegenüber einem Roboter hätte.
Es ist also nicht ungewöhnlich, dass der AIBO einen Trick zeigt und Tucker kommentiert: »Das kann mein Hund nicht.« AIBO ist der bessere Hund, und wir erfahren, warum. Der AIBO ist lebendig, obwohl sein Herz aus Batterien und Kabeln besteht. Der AIBO wird nie krank werden oder sterben. Genau genommen ist der AIBO so, wie Tucker gerne wäre. Tucker identifiziert sich mit dem Roboterhund als einem Wesen, das den Tod mittels Technologie überlistet. Der AIBO weckt bei dem Jungen die Vorstellung, dass man Menschen, genau wie diesen Roboter, eines Tages
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