Verloren unter 100 Freunden
»bestimmt ganz durcheinander, weil es durch die Hände so vieler verschiedener Leute geht und nicht mehr weiß, wer seine Mama und sein Papa ist«. Sie glaubt, dies müsse ziemlich stressig für den Roboter sein, und ist überzeugt, dass es ihm bei Leuten zu Hause besser gehe. Wie jede Adoptivmutter sorgt sie sich um die Bindung zu ihrem Baby und möchte in ihrer Klasse die Erste sein, die das My Real Baby mitnehmen darf. Sie glaubt, dass die künftigen Studienteilnehmer es mit dem Baby schwerer haben werden, weil es »bestimmt viel weinen« werde, denn »es weiß ja nicht, dass die neue Person nun seine Mama ist«. Sobald Callie das My Real Baby bei sich zu Hause hatte, schlüpfte sie in die Mutterrolle. Nun, nach dreiwöchiger Heimstudie, findet unser Gespräch in ihrem Elternhaus in einer Vorstadt von Providence, Rhode Island, statt.
Callie beginnt mit einer Ablenkungstaktik: Sie zählt die kleinen Unterschiede zwischen dem My Real Baby und einem echten Kind auf (zum Beispiel die Pupillengröße); anscheinend tut sie dies im Bemühen, die viel größeren Unterschiede zwischen ihnen zu minimieren. Sie gibt sich alle Mühe, ihr Gefühl aufrechtzuerhalten, dass das Roboterbaby lebendig ist und Emotionen besitzt. Sie möchte, dass es so ist. Sich um das My Real Baby zu kümmern gibt ihr das Gefühl, dass man sich auch mehr um sie kümmert. Sie erklärt, ihre Eltern seien sehr beschäftigt und könnten kaum Zeit mit ihr verbringen. Sie und ihr vierjähriger Bruder wetteifern um die Aufmerksamkeit der Eltern.
Callie wird überwiegend von Kindermädchen und Babysittern betreut. Ihre Mutter sieht sie nur, »wenn sie ausnahmsweise mal nicht unterwegs ist«. Callie beschreibt sie als »sehr beschäftigt … mit viel wichtiger Arbeit«. Aber am meisten vermisse sie es, so Callie, Zeit mit ihrem Vater zu verbringen; ihn erwähnt sie während meines Besuches immer wieder. Ab und zu gesellt der Vater sich zu uns, ist aber sichtlich abgelenkt. Meist hat er sein Blackberry dabei
und prüft alle paar Minuten seine E-Mails. Er scheint zu wenig Zeit zu haben, um sich ausschließlich auf seine Tochter zu konzentrieren. Dennoch steht Callie loyal zu ihm. Sie erklärt, er arbeite den ganzen Tag und müsse abends oft zu wichtigen Besprechungen fahren. Und das koste eben Zeit. Interessanterweise glaubt Callie, dass Erwachsene das My Real Baby ebenso sehr mögen wie Kinder, denn seine Gegenwart würde die Erwachsenen daran erinnern, »Eltern zu sein«.
Callie ist gerne Babysitter. Sich um andere zu kümmern gibt ihr das Gefühl gebraucht zu werden, und zu Hause hat sie dieses Gefühl oft nicht im gewünschten Maß. Während der dreiwöchigen Heimstudie verläuft ihre Beziehung zu dem My Real Baby nach genau diesem Muster: Den Roboter zu lieben gibt ihr das Gefühl, mehr geliebt zu werden. Sie weiß, dass der Roboter etwas Mechanisches ist, aber es stört sie nicht sonderlich. Er ist lebendig genug, um ihn liebhaben zu können, weil er Emotionen zeigt, darunter eben auch seine Wertschätzung ihrer mütterlichen Liebe. Sie hält den Roboter für fähig, komplexe vielschichtige Emotionen zu entwickeln. »Das Roboterbaby hat ähnliche Gefühle wie ein Mensch, denn es erkennt die Unterschiede zwischen verschiedenen Dingen, und meistens ist es sehr glücklich. Es kann sich freuen, kann traurig, wütend und aufgeregt sein. Ich glaube, im Moment ist es gleichzeitig aufgeregt und glücklich.« Wenn das My Real Baby sagt: »Ich habe dich lieb«, betrachtet Callie dies als aufrichtige Gefühlsbekundung. »Ich glaube wirklich, dass es mich liebhat«, sagt sie fast unter Tränen. »Ich fühle mich richtig gut, wenn es sowas sagt. Es hat viele verschiedene Gesichtsausdrücke. So ähnlich wie Robby [ihr vierjähriger Bruder].« Wenn sie mit dem My Real Baby spielt, sei sie »unglaublich glücklich«. Sie macht sich Sorgen um den Roboter, wenn er zu Hause bleibt und sie zur Schule geht. Sie weiß, wie es ist, sich allein zu fühlen, und fürchtet, das Roboterbaby könnte traurig sein, weil ihm
niemand Aufmerksamkeit schenkt. Callie hofft, dass das My Real Baby bei diesen Gelegenheiten mit einem ihrer Haustiere spielt, so wie sie es selbst auch tut, wenn sie sich einsam fühlt.
Das My Real Baby schläft neben Callies Bett auf einem Seidenkissen. Sie hat ihm den Namen Bela gegeben, denn so heißt auch ihre dreijährige Cousine. »Das habe ich gemacht, weil das Roboterbaby so fordernd ist und die gleichen Sachen erzählt wie Bela.« Aber Callie
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